John o’Groats Trail – Tag 2 – Tain to Dornoch

Guten Morgen Inverness, Hallo Dornoch

[Wanderung 15,8 km, mittel] [ca. 120 Höhenmeter ] [27.04.2019]

Kurz nach Sonnenaufgang.
In Schottland ist es zu dieser Jahreszeit überraschend früh hell, und der Himmel ist klar. Ich schleiche mich leise hinaus, setze mich in den kleinen Garten des Hostels. Die Stadt liegt noch im Dämmer. Möwen kreischen über den Dächern – für einen Moment klingt es wie Mozart, wenn er sehnsüchtig fiept.
Ich atme das Licht. Gold und still. Nur Blixa fehlt.


Beim Frühstück spreche ich mit einem Gentleman aus Cambridge. Eine stille, vorsichtige Begegnung – zwei Menschen, die sich an einem fremden Ort für einen Moment verstehen. Auch er ist unterwegs, weil er jemanden verloren hat. Ich erwähne Blixa, meinen Hund, der seit zwei Jahren unter dem Kirschbaum im Garten liegt.
Diese Wanderung ist für ihn. Vielleicht auch für mich. Ein verspäteter Abschied.
Mozart kam zu schnell. Zu früh nach Blixa. Ich hoffe, dass ich nach dieser Reise ganz bei ihm ankomme. Er wird Blixa nie ersetzen – aber er ist er. Und er wartet.

Von Inverness nach Tain

Es ist meine erste Etappe auf dem John o’Groats Trail – offiziell Etappe 4. Wir haben die ersten beiden Abschnitte ausgelassen und starten in Tain.
Wir beschließen kurz vor elf, den Zug nach Tain zu nehmen – der Bus Richtung Norden fährt erst am Abend. Die Etappe von Tain bis Dornoch ist kurz genug (14–15 km) für einen halben Tag.
Vorher bleiben uns noch zwei Stunden. Wir bummeln durch Inverness, holen Brennspiritus im Outdoor-Laden, kaufen Briefmarken in der Post und schlendern durch die Markthalle. Sie erinnert mich an Berlin – vielleicht wegen der Gerüche, vielleicht wegen dieser Mischung aus Altem und Neuem.
Alles zieht an mir vorbei. Ich sehe, aber nehme kaum wahr. Die Nervosität liegt wie ein Schleier über der Stadt. Mein Blick streift, ohne zu haften. Nur die Markthalle bleibt hängen – vielleicht, weil sie warm ist. Lebendig. Ich merke, wie angespannt ich bin.
Dann zum Bahnhof. Bahnhöfe sind hier anders. Entschleunigt. Freundlich. Ich mag das.

Wind, Brücke, Dornoch Firth und ganz viel Ginster

Der Weg beginnt am Bahnhof in Tain. Im Zug habe ich mich kaum bewegen können, geschweige denn meine Gamaschen richtig angezogen. Kaum losgelaufen, merke ich, dass die Laschen innen liegen und gegeneinanderschlagen. Also wieder anhalten. Wechseln. Ich fluche leise.
Nach ein paar Minuten steht da plötzlich ein Lidl. Ju will unbedingt rein – sie braucht Cookies. Ich bin dankbar für die Pause und warte draußen. Mein Blick fällt auf das Meer. Kurz atmen.

Auf der Brücke – unsere Stimmen im Wind

Ich gehe wie ein Automat. Schritt für Schritt. Meter für Meter. Nicht denken. Nur gehen.
Am Kreisverkehr vor der Brücke halten wir an. Es nieselt. Regenjacken raus. Meine ist knallrot – deshalb gehe ich voraus. Ich bin besser zu sehen. Wir laufen gefährlich nah an der Fahrbahn. Oder besser gesagt: Ich. Ju hält sich im Graben, ich gehe direkt am Straßenrand. Da läuft es sich besser. Ich weiß, es ist riskant. Aber ich will einfach nur voran.
Die Brücke zieht sich. Dornoch Firth unter uns. Graues Wasser, Wind im Gesicht.
Auf der Mitte der Brücke bleiben wir stehen.
Wir schreien. Einfach so.
Laut. Ohne Worte.
Unsere Stimmen wirbeln durch den Wind, der über den Firth hinweg das Meer sucht. Niemand hört uns – nur der Himmel, nur das Wasser.
Und es tut gut. Es tut so gut.
Ich brülle meine Anspannung hinaus. Der Wind trägt sie fort. Die Enge im Brustkorb löst sich.
Der Rucksack drückt noch immer auf den Hüften – aber innen wird es leichter.
Nach der Brücke kommt der erste Zaun, mit der John o’Groats Trail Wegemarkierung;. Wir müssen drüber. Kein Tor, keine Lücke – nur klettern. Danach machen wir eine kurze Pause. Durchatmen nach der aufregenden Brücke. Aufstehen. Weiter.

Cuthill Links, Ginster, Camore Wood und der Ruf der Vergangenheit

Wir gehen durch die Cuthill Links – Ginster soweit das Auge reicht. Leuchtend. Struppig. Schottisch.
Dann eine schnurgerade Single Road, flankiert von verstreuten Cottages. Ich verliere das Zeitgefühl. Es ist einfach: Schritt – Atem – Blick – Schritt.
Der Weg führt uns in den Camore Wood. Sanfte Hügel. Alte Steine. Wir kommen an Überresten von bronzezeitlichen Rundhäusern vorbei. Stille Geschichte unter den Füßen.
Und dann: Als wir aus dem Wald heraustreten, sehe ich ihn – einen Standing Stone.
Alle Müdigkeit fällt von mir ab. Mein Herz macht einen Sprung.
Ich liebe die Pikten. Diese Steine. Ihre Geschichten. Ich vergesse sogar meinen Rucksack.
Wir sind fast da. Der Weg biegt auf die Straße ein. Dornoch liegt vor uns.

Dornoch – heiße Schokolade und ein langer Strand

Mein Ziel für heute ist klar: heiße Schokolade.
Nicht irgendeine – sondern Cocoa Mountain.
Ich habe sie bei meiner ersten Reise mit Blixa in Durness entdeckt. Es war damals wild, kalt, windig – aber diese Schokolade war dick, warm, dunkel und weich. Ein Moment, der hängen blieb.
Seitdem verbinde ich sie mit uns. Mit Blixa. Mit dem Gefühl, unterwegs zu sein.
Und als ich herausfand, dass es in Dornoch eine Filiale gibt, stand für mich fest:
Dieser Tag hat ein Ziel. Und es schließt sich ein Kreis.
Sie machen um vier Uhr zu – das weiß ich.
Und genau deshalb gehen wir schnell. Zügig. Ohne viel Pause.
Ich will das schaffen. Für mich. Für Blixa.
Wir kommen rechtzeitig an. Ich trete durch die Tür, halte inne. Der Geruch ist vertraut – bittersüß.
Ich bestelle. Setze mich. Und trinke.
Langsam. Wort für Wort.
Erinnerung, Sehnsucht, Stolz – und Kakao.
Danach kaufen wir noch Schokolade als Proviant. Ich werde sie unterwegs essen.
Ein kleines Stück Zuhause. Oder Vergangenheit. Oder einfach Energie in Form von Erinnerung.

Dann geht es weiter zum Campingplatz.

Auf dem Weg dorthin passieren wir einen Golfplatz – ein Schild warnt vor fliegenden Bällen. Ich muss lachen. Der Ernst des Lebens in schottischer Ausführung.
Am Platz bauen wir das Zelt auf. Ju macht Fotos. Ich sitze einfach nur da.
Ich bin angekommen – aber weich geworden.
Später gehen wir noch lange am Strand entlang.
Das Licht wird silbriger, das Meer ruhiger.
Mozart ist weit weg – aber Blixa ist da. In jeder Welle. Im Sand.
In mir.

Abend in Dornoch – Whisky & Worte

Nach unserem Spaziergang am Strand zieht es uns noch in den Pub.
Whisky.
Klingt dekadent, ich weiß.
True Hiker würden wahrscheinlich den Kopf schütteln – aber wir schütteln einfach zurück.
Leben heißt nicht nur verzichten.
Ju bestellt zuerst einen Blend. Ich grinse.
„Komm schon“, sage ich, „probier einen echten.“
Sie lässt sich überreden – und ist begeistert.
Ich liebe es, wenn sich jemand auf neue Geschmäcker einlässt.
Ich hole mein Tagebuch hervor und beginne zu schreiben.
Nicht viel – nur ein paar Sätze, Gedanken, Farben des Tages.
Der Wind, der Stein, das süße Versprechen von Schokolade, der dumpfe Druck der Hüften, der kurze Flug der Stimmen über den Firth.
Ich schreibe mich leer.
Später, im Zelt, kuscheln wir uns in unsere Quilts.
Wortlos, zufrieden, warm.
Wir schlafen schnell ein.
Der Tag war voll. Und gut.

🧭 Wegbeschreibung: John o’Groats Trail Etappe 4 – Von Tain nach Dornoch

Diese John o’Groats Trail Etappe 4 bietet alles: Straßenrand, Wind, Standing Stone – und am Ende heiße Schokolade.

Vom Startpunkt Tain Station geht es westlich aus der Stadt hinaus – vorbei an einem Lidl, dann ein paar hundert Meter entlang der Route 500. Anschließend biegt der Weg links ab, beschreibt einen weiten Bogen über Straßen und Pfade, und trifft an der Brücke über den Dornoch Firth erneut auf die Route 500.

Der lange Weg über die Brücke ist zwar unangenehm – die Autos fahren schnell, und es gibt kaum Platz zum Ausweichen – aber er ist auch fantastisch, wenn man einfach mal stehen bleibt und sich den Wind um die Ohren blasen lässt.

Direkt nach der Brücke geht es hinab in die Ginsterwelt der Cuthill Links. Danach führt eine schnurgerade Single Road bis zum Camore Wood. Bevor man die Straße nach Dornoch erreicht, verläuft der Weg an einem Feld vorbei, auf dem der Standing Stone steht.

Kurz bevor man die Kirche im Zentrum erreicht, liegt auf der rechten Seite Cocoa Mountain. Der Weg zum Campingplatz ist nicht zu verfehlen.

 

6 Antworten auf „John o’Groats Trail – Tag 2 – Tain to Dornoch“

  1. Wir sind im August in Dornoch auf dem Campingplatz. Nach deinem Bericht kann ich es kaum noch erwarten. Und einen Spaziergang in dem Wald werden wir auf jeden Fall machen.

  2. Ein schönes Tagebuch und mich juckt es ganz schön in den Beinen… Habe im September den WHW und GGW gemacht und suche nach meinem nächsten Ziel 🙂 Der John o‘ Groats könnte es werden. Auch ich stehe vor dem vielleicht bittersten Abschied meines Lebens – mein 14 1/2 Jahre alter Vizsla wird mich bald verlassen und ich kann es mir ohne ihn nicht vorstellen.
    Ich hoffe, Mozart hat sich inzwischen in dein Herz gespielt.
    Liebe Grüße aus Berlin
    Stefan
    Ah, nur eine Sache, aber gaaaaanz wichtig: Whiskey gibt’s in Amerika 😀

    1. Hallo Stefan, bitte entschuldige zuerst die späte Antwort, ich finde erst jetzt wieder Zeit und Ruhe für meinen Blog. Das mit deinem Vizsla tut mir leid, so ging es mir vor 3 Jahren mit meinem geliebten Blixa. Wir waren kurz vor seinem Abschied noch 2 Wochen im hohen Norden, dort hatte ich im März günstig ein Cottage gemietet und wir haben täglich kleine Wanderungen gemacht. Auf dem JoG würde ich mir echt überlegen einen Hund mitzunehmen, es gibt viele Stiles zum drüber klettern, die meisten aus Stacheldraht. Mit Mozart war ich letztes Jahr noch einmal in Schottland auf dem Rob Roy Way. WHW und GGW standen diesen Winter auf dem Programm, genauso wie der Hebridian Way im vergangenen Mai. Stattdessen waren wir in Deutschland unterwegs. Falls mich meine Schwester beherbergt, plane ich im Januar oder März den Berliner Mauerweg zu gehen. US Whiskey ist nicht so mein Ding! (-:

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