John o’Groats Trail – Tag 13 – Ulbster to Wick

John o’Groats Trail Etappe 13: Der Wind weht uns nach Wick

[Wanderung ca. 16 km, mittel] [ca. 150 Höhenmeter] [08.05.2019]

Um sechs Uhr
weckt uns das Trommeln von Regentropfen aufs Zeltdach –
rhythmisch, fast schon beruhigend.
Also: einkuscheln, abwarten.
Was sagt die Wetter-App?
Ab acht Uhr soll es aufhören. Na dann.

Aber: Die Blase kennt keinen Wetterbericht.

Also raus aus dem warmen Quilt –
und das tut fast körperlich weh.
Ich habe nur mein Schlafzeug an,
werfe mir die Regenjacke über
und schlüpfe in die kalten Wanderschuhe –
Schnürsenkel offen, kein richtiger Halt.
Schlurfend tapse ich los.
Erstmal ein paar Meter gehen –
man pinkelt nicht direkt neben das Zelt.

Sitzen, frieren, lachen –
im eisigen Wind.
Ein echtes Erlebnis,
besonders mit genau jetzt einsetzendem Graupelschauer.

Zurück im Zelt

Ju sitzt im geöffneten Innenzelt
und schöpft mit ihrer Tasse das Wasser vom Groundshield –
es hat sich an einer Seite hereingeschleicht
und bedroht unser Innenzelt.
Wir lachen trocken,
aber der Morgen fühlt sich feucht an.
So langsam wird klar:
Wir müssen hier raus.

Ich denke an Ju’s Schuhe.
Schon in den letzten Tagen sind sie trotz Spray schnell durchgeweicht.
Das neue Imprägnierspray –
in Helmsdale gekauft –
hat sich bislang nicht gerade bewährt.

Und jetzt das:
Graupel geht in Schnee über.
Er bleibt zwar nicht liegen,
aber es ist eisig.

In meinem Kopf formt sich eine Idee:
„Wenn das so bleibt, könnten wir auf die Straße ausweichen.“
Ein paar Meilen Asphalt statt nassem Strampelpfad.
Route 500.
Die Reaktion von Ju: ein Blick, der Bände spricht.
Okay – wir bleiben auf dem Küstenweg.

Ganz uneigennützig war mein Vorschlag nicht:
Der Gedanke, später durch nassen Matsch zu schlittern,
über glitschige Weidezäune zu klettern
und auf holprigem Untergrund den Halt zu verlieren –
der macht mir schon jetzt ein bisschen Sorgen.

Aber gut – wir bleiben auf dem Küstenweg.
Natürlich. Wird schon gut gehen.

Der Abbau

Kurz vor acht Uhr.
Die App hatte recht – der Regen lässt nach.
Wir sagen nur: „Los.“
Ab jetzt läuft alles wie ein eingespieltes Ritual.

Also packen wir im Schutz des Außenzeltes unsere Rucksäcke:
Schlafsäcke, Matten, alles im Trockenen verstaut.
Dann hängen wir das Innenzelt aus –
es blieb ebenfalls trocken und kommt bei mir ganz oben in den Rucksack.
Ideal, wie sich später herausstellt.

Ju bekommt das Außenzelt.
Tropfnass, schwer,
oben auf ihren Rucksack geschnallt.
Die Zeltstangen außen dran.
Teamarbeit in Eile.

Unsere Finger sind steifgefroren.
Die Bewegungen werden fahrig.
Reißverschlüsse haken, Gurte klemmen.
Trotzdem schaffen wir es,
den Platz an den Mains of Ulbster
in Rekordzeit zu verlassen.

Nicht ohne einen letzten Blick zurück –
nass, grau, irgendwie heldenhaft

Bewegung gegen die Kälte

Die beste Option jetzt: Bewegung.
Also pesen wir los – durch hohes, nasses Gras.
Keine Zeit für Zögern.

Ju flucht leise – ihre Schuhe sind klatschnass,
die Füße eingefroren.
Scheiße!
Meine alten Leder-Meindl halten noch dicht,
aber die Finger: Eisklumpen,
trotz Handschuhen.

Dann: Der Regen hört auf.
Ein paar Sonnenstrahlen wagen sich durch die Wolken,
kurz, schüchtern – fast wie ein Trostpflaster.
Nur der Wind bleibt,
bläst uns schneidend um die Ohren.

Ein kleiner See taucht auf.
Die Gedanken reißen ab.
Nur der Weg.
Nur ein Schritt nach dem anderen.
Der Kopf – frei wie selten.
Ein klarer Fokus auf den Jetztraum,
der nichts fordert außer: Weiter.

Keine Pausen.
Nur ein paar Nüsse zwischendurch.
Der Weg wird gerader,
die Berge im Hinterland verschwinden.
Seit Dunbeath ist es flacher geworden –
das Land, der Blick, der Atem.
Nur der Wind bleibt wild.

Moor, Niesel, und eine kleine Verdauungsepisode

Irgendwann wechselt das Gelände.
Das Gras wird schütterer, der Boden weicher –
wir sind im Moor.
Flacher als erwartet, aber nicht weniger feucht.
Ein feiner Niesel legt sich über alles,
nicht stark, aber unaufhörlich.
Wir sagen kaum ein Wort.
Es ist diese Art von Stille,
die von außen kommt –
und sich irgendwann innen fortsetzt.

Ich gehe ohne Brille.
Nach einer Minute wäre sie sowieso nur noch milchig.
Also orientiere ich mich an Farben und Bewegungen.
Graublau unten, hellgrau oben,
dazwischen Ju, als dunkler Punkt in Bewegung.
So geht’s ganz gut.

Ach ja – und irgendwann musste ich verdauen.
Nicht dramatisch,
nicht heldenhaft,
aber eben auch nicht gerade gemütlich.
Regen, Wind, nasser Hintern,
und kein trockener Fleck in Sicht.
Aber auch das gehört dazu.
So wie ein Zelt, ein Mikrofaserhandtuch
und der eiserne Wille,
irgendwann doch wieder die Brille aufsetzen zu können.

Sarclet Harbour lassen wir links liegen.
Ein windiger, abschüssiger Platz –
kein guter Ort zum Zelten.
Schön anzusehen, ja.
Aber nichts, wo man zur Ruhe kommt.
Also weiter.

 

Schleifen, Schafe und eine stille Begegnung

Kaum denkt man, es geht einfach mal geradeaus,
kommt der nächste Geo.
Tiefe Einschnitte in die Küste –
einer nach dem anderen.
Sie sehen großartig aus,
wirklich!
Aber nach dem fünften denkt man kurz darüber nach,
ob man sie nicht einfach per Gedankenübertragung umrunden kann.
Oder ob sie vielleicht irgendwann einfach ausgehen.

Jede Kurve, jeder Abgrund,
heißt: runter, rauf, drumrum.
Dabei ist die Klippe hier gar nicht mehr so hoch –
flacher als weiter südlich,
aber nicht weniger unübersichtlich.
Und irgendwo dazwischen: ein Haus.
Allein, direkt an einem GEO,
Schafe davor, Schafe dahinter,
und mittendrin wir –
und mittendrin wir –
durchgeweicht, durchgepustet,
aber immerhin: Es nieselt nicht mehr.
Nur der Wind bläst noch – scharf und ungeduldig – vom Festland herüber.

Und dann kommt sie.

Eine Frau, plötzlich da.
Mit zwei Wanderstöcken,
leichtfüßig, fast hüpfend,
als wäre der Pfad ein Trampolin.
Sie grüßt knapp,
wir auch –
und schon ist sie wieder weg,
verschluckt vom Weg,
vom Wind,
von der Weite.

Eine merkwürdige Begegnung.
Wie eine Erscheinung.
Nur in Wanderschuhen.

Und die Geos hören einfach nicht auf:
Riera Geo, Broad Geo, Tod’s Geo, Ashey Geo, Ires Geo…
Wie Wirbel einer Seeschlange,
die sich tief in die Küste gebissen hat.
Und ganz am Ende,
kurz vor Wick – ein letzter Zacken draußen im Meer:
die Stacks of Dunbar.
Der Kopf der Schlange.
Wachsam, stoisch,
der letzte Fels in der Brandung, bevor die Zivilisation beginnt.

Eine Burg erscheint – und wir spielen mit

Der Weg schlängelt sich über eine grasige Anhöhe. Wir rechnen mit allem – nur nicht mit einer Bühne. Doch dann…

Ein Windstoß. Eine Klippe. Und da: die Ruine.
Castle of Wick.
Drei halb zerfallene Mauern, ein Turmrest –
ein Theater, als hätte jemand das Licht gedimmt
und die Szene eingerichtet.

Ich bleibe stehen, blicke zu Ju.
Sie zieht die Kapuze tiefer ins Gesicht.
Ich hebe die Hand wie eine Schauspielerin aus alten Zeiten:

„Where shall we three meet again?
In thunder, lightning, or in rain?“

Ju grinst.
„Weißt du eigentlich, dass das meine Lieblingsstelle in Macbeth ist?“
„Schon zum dritten Mal heute, ja“, sagt sie,
„aber sag’s ruhig nochmal.“
Wir lachen – dann wird’s ernst.

Die Bühne ist da.
Ich spiele das Burgfräulein.
Ein bisschen trotzig, ein bisschen tragisch.

„Ich verlasse dich, Harald!
Genug hab’ ich – von Wind, von Stein, von stummer Kälte.
Dein Herz, so frostig wie die Mauern, in denen wir leben.
Bleib auf deinem Kliff, du Sohn des Nordwinds!
Und frier mit deinem Stolz!
Ich zieh gen Süden – dahin, wo Worte wärmen und Fenster schließen“

„Harald“ (Ju, unsichtbar, aber vorhanden) schweigt.
Ein Vogel schreit in der Ferne.
Ju verneigt sich spöttisch und gibt mir ein imaginäres Taschentuch.

„Bravo. Großes Drama.
Gleich geht der Vorhang wieder runter.“

Ein letztes Mal schaue ich zurück auf das Castle,
das keine Antwort gibt –
aber mitspielt,
ganz still.

Ankunft in Wick

Das letzte Stück bis zum Hafen wirkt fast wie ein anderer Weg.
Breit, eben, gut begehbar –
nach all den schmalen Klippenpfaden beinahe zu ordentlich.
Hier sind Gassi-Gänger unterwegs, ich denke an Mozart.
Die Sonne scheint.
Und der Wind bläst.
Natürlich.

South Head

Das Meer drischt gegen die Küste,
die Platten des Caithness-Flaggsteins liegen wie Terrassen übereinander –
ein harter, feinkörniger Sandstein,
vom Sturm gezeichnet und vom Wasser geschichtet.
Fast sieht es aus, als hätte jemand Ordnung geschaffen.

Wick Hafen und Beatrice

Der Wind schlägt uns noch ein letztes Mal um die Ohren,
dann wird es ruhiger.
Der Hafen von Wick liegt geschützt hinter zwei Kaimauern –
fast zu ruhig nach diesem Tag.
Boote schaukeln bunt vor sich hin,
dazwischen moderne Schiffe,
die zum Windpark vor der Küste gehören.
Beatrice heißt er.
Ein Windpark mit meinem Namen –
wie passend an dieser unermüdlich stürmischen Küste.
Statt Ölplattformen: Hoffnung.
Statt Raubbau: Zukunft.
Beatrice, du bläst uns fast davon –
aber du meinst es gut.

Gerry ist auch hier

Und dann: noch eine Überraschung.
Am Hafen steht ein Geländewagen mit der Aufschrift G.M.R. Henderson.
Seiner?
Ist er zufällig hier?
Wird er gleich um die Ecke biegen und uns noch einmal zulächeln?
Wer weiß das schon.

Nur eines ist sicher:
Sein Firmengebäude und weitere Fahrzeuge mit seinem Namen stehen gleich ums Eck.
Ein stilles Wiedersehen –
aber ohne Begegnung.

Ich hätte gern noch einmal Danke gesagt.
Und vielleicht auch mehr.
Manche Menschen berühren etwas in einem,
gerade weil sie einfach da sind,
zur richtigen Zeit,
mit einem offenen Blick,
einem Satz,
einem Lächeln.

Und dann verschwinden sie wieder,
so leise, wie sie aufgetaucht sind.

Tearoom statt Rezensionen

Eine Dame spricht uns an.
Ob sie helfen könne – wir sähen aus, als suchten wir etwas.
Stimmt.
Wir starren auf unsere Handys,
scrollen durch Rezensionen,
suchen nach einem Tearoom,
nach Wärme, nach einer Pause.

„Da drüben“, sagt sie freundlich.
„Der Tearoom – gleich um die Ecke.
Und die Tourist Information ist auch dort.“

Ich bin dankbar.
Für diesen Moment echter Begegnung.
Nicht Google hat uns dorthin geführt,
sondern ein Mensch.
Kein Algorithmus,
kein Ranking,
nur ein freundlicher Blick.

Im Tearoom

Mit unseren großen Rucksäcken stehen wir in der Tür.
Der Raum ist warm, freundlich, belebt.
Ein kurzer Moment des Zögerns –
dann bahnen wir uns den Weg an einen kleinen freien Tisch am Fenster.

Wir sind nicht zu übersehen.
Einige Blicke folgen uns.
Ob wir uns beobachtet fühlen?
Ja.
Ob das unangenehm ist?
Nein.

Wir wuchten unsere Rucksäcke vorsichtig vor das Fenster,
setzen uns, atmen durch.
Drinnen brennt mein Gesicht –
vom Wind,
von der Sonne,
von allem.

Ich glaube, ich spreche da auch für Ju:
Wir sind glücklich.

Campingplatz und eine heiße Dusche

Nach dem Tearoom geht’s weiter zum Campingplatz am Fluss.
Eine grüne Wiese mit ein paar Sitzbänken – genau richtig für unser Zelt.
Aber: die lästigen, kleinen schwarzen Fliegen sind auch hier.
Wir kennen sie schon seit Helmsdale –
sobald kein Wind weht, hängen sie am Zelt wie die Motten am Licht.
Also erstmal kräftig ans Außenzelt klopfen,
damit sie nicht direkt mit ins Innenzelt fliegen.
Routine.

Dann: warme Dusche.
Ein echter Moment der Erlösung.
Ich greife zu meinem Allrounder:
Dr. Bronner’s Flüssigseife – Pfefferminz, stark konzentriert.
Ein Tropfen reicht für Haare, Körper, Zähne.
Aber wehe, sie kommt den Schleimhäuten zu nah –
das brennt wie Hölle.

Mein Handtuch ist eher ein Waschlappen mit Ambitionen –
etwa 70 × 30 cm.
Nach der warmen Dusche wird das Abtrocknen zur Kaltwasser-Challenge.
Ich schlottere, wickle mich in alles, was trocken ist.
Wir sind frisch – nur leider unsere Klamotten nicht.
Ich trage noch immer mein langärmeliges Schlafshirt über dem Tages-Shirt.
Es müffelt längst mit.
Egal.
Der Körper ist sauber, der Kopf klar,
und draußen wartet unser windstabiles Kuppelzelt.

Abendessen und Modenschau

Zwei Etappen noch –
also muss Gewicht raus.
Wir kochen heißes Wasser
und rühren Quinoa-Trockenfutter von DM an.
Nahrhaft, aber geschmacklich eine Zumutung:
Kardamom, Staub und ein Hauch Wollsocke.
Ich krieg’s kaum runter.
Zum Glück haben wir noch Brot aus Whaligoe,
ein bisschen Käse,
und winzige Butterpäckchen von den Scones.
Feine Reste – plötzlich ein Festmahl.

Danach kippt die Stimmung –
in die andere Richtung:
Wir sind überglücklich.
Endorphine, Erschöpfung,
alles dreht durch, aber auf gute Weise.
Wir lachen, frieren, witzeln über unser Leben auf dem Platz.

Um uns herum: ein paar stoische Schotten.
Unbeeindruckt vom Wind,
vielleicht etwas verwundert über zwei Gestalten,
die sich in ihre Quilts wickeln wie in edle Capes.
Fußende über den Kopf gezogen,
Arme durch die Seiten –
eine Daunenmodenschau deluxe.
Warm, wild, wunderbar.

Unsere Handys haben wir vorher in der Rezeption abgegeben –
gemeinsam mit den zwei Powerbanks.
Aufladen, endlich.
Mein Solarpanel hat es nie wirklich gebracht.
Wenig Sonne, zu viel Wind.
Aber was soll’s.
Jetzt brauchen wir eh nichts mehr.
Keine Party kann diesen Abend toppen.

 

🧭 Wegbeschreibung: John o’Groats Trail Etappe 13 – Ulbster-Wick

Die gute Nachricht:
Heute gibt es weniger Zäune –
und kaum Schafsweiden.
Nur in der Höhe von Sarclet begegnen uns noch ein paar wollige Zaungäste.
Die schlechte Nachricht:
Der Boden ist stellenweise ziemlich feucht,
besonders rund um Loch Sarclet –
ein matschiger Gruß vom Moor.

Aber insgesamt lässt sich der Weg gut gehen.
Man trifft sogar auf richtige Pfade –
ein fast schon luxuriöses Gefühl.
Die Beschilderung?
Vorbildlich.
Schon vor dem Castle of Wick tauchen erste Wegweiser auf,
und danach geht es auf markierten Wegen weiter bis zum Parkplatz.
Dort endet der offizielle Küstenpfad –
die letzten Meter führen über die Straße bis hinunter zum Hafen von Wick.

Die Wick Caravan & Camping Site ist leicht zu finden:
Vom Hafen einfach rechts halten,
drei Minuten am Ufer entlang –
fertig.

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