John o’Groats Trail – Tag 4 – Golspie to Brora and Dunrobin Castle

Der Tag der Schlösser, Macht und Mauern – John o’Groats Trail Etappe 6

[Wanderung ca. 12,5 km, leicht] [ca. 100 Höhenmeter] [29.04.2019]

Morgenstimmung am Balblair Wood

Wir kriechen aus den Quilts – nicht aus Übermut, sondern weil wir müssen.
Kalt ist es. So richtig. Nicht romantisch, sondern „zieh dir was über die Nase“-kalt.
Der Himmel macht auf Drama: kräftiges Blau, keine einzige Wolke.

Wir strecken uns, laufen ein paar Schritte, bis die Extremitäten wieder wissen, dass sie zu uns gehören.
Nach ein paar Minuten wird’s besser. Wie immer.

Die Statue da oben auf dem Hügel steht immer noch da.
Wir schenken ihr einen Blick – und zwei Gedanken:
nichtgewollt beschützt, ungewollt beobachtet.

Dann ziehen wir die Jacken enger und denken fast gleichzeitig:
Kaffee. Bewegung. Los.
Dann wird’s schon.

Gefrühstückt wird in Golspie! Danach wartet die kurze, aber abwechslungsreiche John o’Groats Trail Etappe 6 auf uns.

Die ersten Meter denke ich nicht an den Rucksack, – einfach losgehen.

 

Der Pfad führt uns weiter durch Balblair Wood. Weicher Waldboden, gut zu gehen.
Meine geliebten Scots Pines erkenne ich sofort, der Rest der Bäume bleibt ein botanisches Fragezeichen.
Das Licht kommt nur in Streifen durch die Bäume – wie kleine Fenster in eine andere Welt. Der Wind in den Ästen lässt sie tanzen.

Eigentlich wollten wir zum Strand runter, beim Kart Track.
Aber wir finden den Abzweig nicht.
Also laufen wir einen Teil der letzten anderthalb Kilometer auf der Straße .
Nicht schlimm. Aber schade.
Ich denke: Der Tag kann mehr. Wir müssen ihn uns nur erlaufen.

Frühstück in Golspie

Golspie wirkt freundlich – klein, küstennah, aufgeräumt.
Wir finden schnell ein kleines Café hinter dem Supermarkt, das Coffee Bothy, und es macht gerade auf!
Das Frühstück ist göttlich.
Richtiges schottisches Frühstück, mit allem, was dazugehört.
Sonne auf dem Gesicht, Wärme im Bauch.

Ich kann es kaum fassen, wie gut das tut.
Dieses einfache, satte Glück.

Vor dem Café steht ein Hund. Er sieht aus wie der kleine Bruder von Mozart.
Natürlich kriegt er die Würstchen, die mag ich eh nicht.

Wir sitzen lange. Zu lange?
Nein, alles ist genau richtig so. Wir sind nicht auf der Flucht.
Wir sind unterwegs.

Danach noch kurz in den Supermarkt – ich glaube, es war ein Spar.
Sandwiches, Obst, Snacks. Alles für später.
Ein bisschen Versorgung, ein bisschen Planung, ein bisschen Gewicht.

Der Rucksack, der Herr und die Statue

Mein Rücken schmerzt.
Der Hüftgurt zieht, als wäre er sauer auf mich.
Ich komme schlecht ins Gehen, der Rucksack drückt.

Ju schaut mich an, sagt: „Der sitzt zu tief.“
Wir probieren herum, schieben, ziehen, kürzen die Rückenlänge.
Und ja – es wird besser.
Noch nicht perfekt, aber wir werden ein Team: ich und der Rucksack.
Ich beginne zu verstehen, wie er funktioniert – und was ich anders machen muss.
Vielleicht ist das wie mit vielen Beziehungen: Erst wenn’s weh tut, geht man die Probleme an.

Dann sehen wir ihn – einen älteren Gentleman, der mit seinem lauten Kantenschneider gegen das Unkraut kämpft. Wir kommen ins Gespräch. Woher – Wohin.
Ich frage ihn, was für ein übel großes Denkmal da oben auf dem Hügel steht, dass wir seit Embo sehen können.

„The Mannie“, sagt er. „Duke of Sutherland.“

Ich frage weiter.
Und dann kommt der Satz, der bleibt, den ich aus meinen Büchern kenne:
„He cleared the land. Sent the people away.“

Ich blicke noch einmal hoch zu diesem Kerl aus Stein.
Da steht er, als hätte er der Welt gerade einen Gefallen getan.

Wer bitte baut sich ein Denkmal auf dem Ben Bhraggie! Damit es rundherum alle sehen können? Aber lest bei Wikipedia selber die Geschichte über „The Mannie“.

Menschen vertrieben, Dörfer ausgelöscht – und dafür ein Denkmal.
Ich schüttele innerlich den Kopf. Ich verstehe genug.

Dann Strand.
Ju läuft voraus, wirft die Arme hoch, dreht sich zum Meer.
Sie sieht aus, als würde sie das Meer umarmen.

Ich bleibe stehen, und freue mich über Ju, über uns.
Und denke:
Vielleicht sollte man ein paar Statuen einfach umdrehen,
damit sie sich mal anschauen müssen, was sie angerichtet haben.

Dunrobin Castle – Märchen und Verbrechen

Der Weg führt uns direkt an der Küste entlang.
Und plötzlich steht es da.
Dunrobin Castle.

Ein Schloss wie aus einem Märchenbuch, wie Neuschwanstein am Meer.
Giebel, Türme, eine Fassade, die fast zu schön ist, um wahr zu sein.
Ju sagt nur: „Wow.“
Und ich denke: Ja. Wow.

Wir gehen hinauf, hinein.

Eintritt mit Seniorenrabatt – ich lache innerlich, nehme es stolz an und platziere meinen schweren Rucksack mit einem Schwung hinter dem Tresen.

Und dann – dieser Garten.
Wir treten hinaus, und mir bleibt fast der Atem weg.

Der Blick von oben:
Geometrische Beete, Buchsbaumlinien, Wasserbecken, blühende Farben, Mauern, die das Ganze fassen –
und dahinter, ganz ruhig, das Meer.

Es riecht nach warmer Erde und Salz.

Ich vergesse kurz alles.
Laufe durch Wege, durch versteckte Ecken.
Entdecke kleine Statuen, ein paar Bienen, einen Schmetterling.

In diesem Moment denke ich nicht an Geschichte.
Ich denke an Schönheit. Und wie gut sie tut.

Die Greifvogelshow beginnt.
Der Falkner kennt seine Tiere. Sie fliegen über uns hinweg, präzise, pfeilschnell, kraftvoll.

Danach gehen wir ins Schloss.

Und da ändert sich etwas.
Erst kaum merklich. Dann stärker.

Die Räume sind prächtig, protzig.
Gesellschaftszimmer, Speisesaal, Jagdtrophäen.

Im Kinderzimmer wird mir flau.
Zu viel Porzellan. Zu viel goldener Rahmen. Zu viel  Spielzeug.

Ich spreche einen Aufseher auf die Schande der Sutherlands an:
„Wie halten Sie das aus? Haben Sie kein mulmiges Gefühl, hier zu arbeiten?“

Er lässt sich zögerlich auf mein aufgedrängtes Gespräch ein.
It’s long ago, Sutherland wasn’t that bad as many others.
Visitors usualy don’t know or even care about it.

Aber ich denke daran.

Ich bin Deutsche.
Ich weiß, dass Schuld nicht vergeht, nur weil Zeit vergeht.

Die Clearances. Die Vertreibung. Die verlassenen Cottages.
Der Prunk hier wurde darauf gebaut.

Und draußen steht der Duke auf seinem Hügel – als hätte er etwas Gutes getan.

Schönheit kann Schuld nicht verstecken.
Egal, wie hübsch die Gärten sind.

Das Broch von Carn Liath – Steine für die Ewigkeit

Ich gehe schweigend.
Ju merkt es, sagt aber nichts.
Erst als wir wieder draußen sind, zurück auf dem Pfad, holt sie mich leise zurück ins Jetzt.

„Da vorne ist es schön“, sagt sie nur.
Und tatsächlich: ein kleiner Birkenwald, das Licht fällt schräg zwischen die Stämme,
und der Boden ist gesprenkelt mit Blau – Waldhyazinthen.

Ich gehe voraus, nehme die Stille und die Schönheit dieses Ortes in mich auf.
Ich merke, dass sie hinter mir bleibt, aber drehe mich nicht um.

Das Foto sehe ich erst viel später, zu Hause.
Ich, von hinten, wie ich zwischen den Bäumen gehe.
Eigentlich sieht man hauptsächlich meinen blauen Rucksack und die blauen Blumen.

Jetzt hängt es an meiner Wand.

Danach geht es an den Strand – ruhige Wellen, weiches Licht.
Wir kommen an ein paar Viehweiden vorbei.
Zäune, Schuppen, alte Geräte – alles verlassen, von der Meeresluft verrostet.
Still, ein bisschen schräg, fast schön.
Es hat diesen eigenartigen Charme, den nur Dinge haben, die niemand mehr braucht, aber niemand weggeräumt hat.

Und dann, oben an der Straße, dort wo sich die Route 500 dem Meer nähert:
Das Broch von Carn Liath.

Kein Eintritt. Kein Ticket. Kein Museumsshop.
Nur alte Steine – und Glück.
Denn wir sind allein.

Wir steigen hinauf, umrunden das Bauwerk, treten ein.
Ich setze mich auf eine zweitausend Jahre Steintreppe,
spüre den Wind, höre das Meer,
und versuche mir vorzustellen, wie hier Menschen gelebt hat.

Wie es war, in diesen Mauern zu schlafen,
Feuer zu machen, Kinder zur Welt zu bringen,
Geschichten zu erzählen, sicher auch zu fliehen.
Irgendwann blieben nur die Steine übrig,
in denen ich jetzt „IHRE“ Stimmen suche.

Ich mag diesen Ort.
Seine Ruhe.
Seine Einfachheit.

Keine Audioführung, keine Krone auf dem Sims.
Nur Wind, Stein und Geschichte.

Vielleicht haben hier die Pikten gewohnt.
Oder andere, die keine Spuren in Büchern hinterlassen haben –
sondern Spuren in diesen Mauern.

Und wenn der Wind genau richtig steht,
glaubt man fast, dass sie noch da sind.
Nicht sichtbar, nicht vergessen.

Strandwanderung bis Brora – Schritte zwischen Sand und Steinen

Vom Broch aus geht es wieder hinunter zum Strand.

Ein Küstenabschnitt der John o’Groats Trail Etappe 6 – offen, schön, fordernd.

Der Sand ist fest – manchmal.
Und dann wieder durchzogen mit Steinen, die aussehen,
als hätten sie sich verschworen, uns zum Tanzen zu bringen.

Je schmaler der Strand, desto steiniger wird’s.
Ich hüpfe fast, von einer Lücke zur nächsten,
versuche, reinen Sand zu erwischen – und knicke manchmal fast um.

Ju nimmt’s sportlich.
Ich fluche manchmal. Und grinse immer öfter.

Rechts rauschen die Wellen.
Links, weiter oben, verläuft die Straße –
aber wir hören sie nicht.
Der Wind und das Meer erzählen lautere Geschichten.

Wir laufen. Reden. Schweigen.
Spüren die Sonne. Und den Rucksack.

Nur wir zwei, das Meer, und dieser endlos erscheinende Strand,
der irgendwann in Brora endet.

Wir sind voll auf Entdeckungsdroge und nehmen jede Kleinigkeit in uns auf.

Und ich weiß jetzt schon:
Ich werde wiederkommen. Mit einem Gefährten, der über den Strand fegen könnte.

Sputie Burn – Wasserfall im Ginster

Der Weg steigt kurz an, führt uns leicht bergauf in ein Meer aus Ginster.
Alles blüht gelb. Warm, duftend, fast zu golden, um echt zu sein.

Von hier oben sehen wir ihn:
Sputie Burn, den kleinen Wasserfall,
der über Felsen fließt, um sich dann ins Meer zu verlieren.

Letzte Meter bis Brora – Hüpfen oder balancieren

Nach dem Ginster geht es zurück ans Meer.

Der Strand wäre da –
aber zwischen uns und dem festen Sand liegt ein Streifen loser, tiefer Sand.
Weich wie Mehl.
Und gleich danach: ein Chaos aus Steinen.

Also bleibt uns der schmale Pfad auf der Grasnarbe.

Ich bin schon müde vom Steine-Hüpfen.
Und jetzt fühle ich mich wie eine Seiltänzerin mit Rucksack.
Einen Fuß vor den anderen, bloß nicht abrutschen,
das Gras gibt manchmal nach.

Ju geht leichtfüßig voran.
Ich fluche leise.

Aber irgendwie passt das.
Der letzte Abschnitt ist wie ein kleiner Test:
Nochmal balancieren, nochmal durchhalten,
bevor wir nach Brora einlaufen.

Ankunft in Brora – Curry, weicher Sand und eine Sternschnuppe

Brora wird vom Fluss Brora geteilt – ein Gezeitenfluss, der sich langsam ins Meer schiebt.

Wir folgen ihm auf der linken Seite hinauf ins Zentrum,
am Wasser entlang,
bis wir plötzlich – HIER! – ein indisches Restaurant entdecken.
Direkt neben dem Bahnhof.

Und wir dürfen rein.
Trotz unserer Rucksäcke,
trotz der seit Tagen getragenen Klamotten,
trotz des Geruchs nach Meer, Sand und Abenteuer.

Das Essen schmeckt wie das beste indische Essen ever.
Vielleicht, weil es wirklich gut ist.
Vielleicht, weil wir einfach so hungrig sind,
so durchgewalkt vom Wind, der Sonne, den Kilometern.

Danach gehen wir zurück.
Nicht mehr suchend. Sondern satt, warm, zufrieden.

Jetzt, in dieser anderen Stimmung,
finden wir ihn – den perfekten Platz im Sand.

Weich wie Mehl.
Trocken genug, um sicher zu sein, dass das Meer uns in Ruhe lässt.

Mein Geodät steht auch ohne Heringe,
aber ich stecke ein paar in den weichen Sand
und beschwere sie mit Steinen. Man weiß ja nie.

Und dann – Isomatte aufblasen, raus aus den Schuhen, Quilts ausrollen.

Die Wellen brechen sich sanft am Strand,
Die Seevögel gehen so langsam schlafen.
Am Horizont blinkt ein Leuchtturm.
Stetig wandert die Sonne ein stück tiefer Richtung Horizont.
Wir sehen im Süden ein kleines Stück des Abendrot,
die Stimmung wird magisch.

Es dämmert.

Ich bin zu aufgekratzt zum Einschlafen.
Schleiche mich nochmal raus.

Und sehe –
eine Sternschnuppe.

Kein Wunsch diesmal.

Nur ein Gedanke:
Blixa.

Es fühlt sich an wie ein Gruß von ihm.
Mein alter Kumpel.

In Schottland habe ich mir bei jeder Sternschnuppe etwas für ihn gewünscht.
Und alle Wünsche sind in Erfüllung gegangen.

Diese Nacht brauche ich keinen Wunsch.
Nur dieses eine Hallo.

🧭 Der Weg – John o’Groats Trail Etappe 5: Balblair Woods bis Brora

Vom Waldrand des Balblair Wood folgen wir dem schmalen Pfad weiter in Richtung Golspie. Der Weg ist weich, waldig, angenehm – bis wir über eine Holzbrücke gehen und kurz danach den Balblair Wood verlassen und folgen der schmalen Landstraße in nördlicher Richtung. Wir verpassen den Abzweig zwischen dem Kart Track und einem Wohnwagenstellplatz. Aber man kann danach andere Pfade hinunter zum Strand finden und ist wieder auf der Spur.

Nach etwa 1,5 km erreicht man Golspie, an, wo man frühstücken und einkaufen kann.

Vom Ort aus geht es auf den offiziellen John o’Groats Trail zurück an die Promenade, an ein paar schmucken Häusern vorbei und folgt einfach der Küste. Der Untergrund wechselt: Gras und Sand.

Der Weg führt unterhalb Dunrobin Castle entlang, durch ein kleines Birkenwäldchen und immer weiter die Küste entlang.

Der Weg zieht sich nun lang am Wasser entlang – mal auf hartem Sand, mal mit Steinen vermischt, oder auf einer schmalen Grasnarbe direkt auf der flachen Düne. Der Aufstieg zum Wasserfall Sputie Burn ist ausgeschildert: Wasserfall.

Tipp: Ob der Weg einfach oder etwas schwieriger zu gehen ist, hängt von der Tide ab. Wir hatten eine hohe Tide und einen etwas „schmalen“ Strand.

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