John o’Groats Trail – Tag 5 – Brora bis Lothbeg Point mit Tweed, Whisky und Weitblick

Mit Whiskey, Tweet und der Strand von Brora Beach – John o’Groats Trail Etappe 7

[Wanderung ca. 10,5 km, leicht] [ca. 10 Höhenmeter ] [30.04.2019]

Ein Morgen wie gemalt

Die Sonne kriecht langsam über den Horizont.
Licht breitet sich über dem Meer aus,
als hätte jemand zartes Gold ausgegossen.

Wir sind wach. Raus aus dem Zelt und erstmal schauen.
Ju bleibt noch ein wenig draußen.
Ich erweitere den Morgen um eine kleine Schlummerrunde –
nur so lange, bis die Sonne den Sand erwärmt
und das Zelt langsam in der Sonne trocknet.

Dann schäle ich mich aus dem Quilt,
schlüpfe in die Wanderschuhe,
und stelle den Kocher an.

Chai-Latte-Tüten-Tee.
Ich halte die Tasse in beiden Händen,
wärme meine kalten Hände,
zerzaust von der Nacht,
während der Wind mir durch die Haare fährt.

Heute gehen wir die siebte Etappe des John o’Groats Trail – eine Strecke, die weniger durch Kilometer oder Höhenmeter als durch Herzpunkte glänzt.

Morning Talk on the Beach

Und dann kommt ein schottischer Gentleman mit zwei großen Zottelhunden.
Er sieht das Zelt. Mich mit der Tasse.
Und lächelt.

„Gute Nacht gehabt?“

Ich nicke.

„War perfekt.“

Und schon sind wir im Gespräch.
Über das Wetter. Die Wellen.
Die Bucht – und ihren ganz eigenen Zauber.

„Hinter euch ist direkt eine alte Mine“, sagt er.
„Heute zieht es uns Rentner wegen dem guten Klima nach Brora.“

Ich frage ihn nach dem Leuchtturm –
der, der gestern Nacht sein Licht über unsere Zelte geschickt hat.
Ist da irgendeine Insel?

„Ach der“, er lacht.
„Der steht auf der anderen Seite der Bucht. In Lossiemouth.“
(Das werde ich erst Jahre später kapieren.)

„Diese ganze Küste hier hat ein Mikroklima.
Weil es eine riesige Bucht ist, nach Norden und Süden geschützt.
Ein schottisches Florida, nur stiller und mit kräftigeren Farben.“

Er schweigt kurz,
schaut auf das Meer, das heute wieder freundlich wirkt.

„So ein Tag wie heute…
bleibt einem im Kopf.“

Ich nicke wieder.
Und weiß: Er hat recht.

Wir gehen wieder hinein in den Ort,
zum dritten Mal denselben Weg – *grins*.

Brora ist nicht groß.
Wir laufen an kleinen Reihenhäusern vorbei,
leicht verwittert, aber nicht vernachlässigt.

Im Supermarkt stocken wir auf:
Äpfel, Tortellini für heute Abend, Sandwiches,
vielleicht was Süßes.
Nüsse, Schokolade = Energie – *her damit!*

Der Stoffhimmel – oder: Wie man seine Vergangenheit ertasten kann

Was liegt direkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite?

Ein Café und „Kingcraig Fabrics“.
Ein kleiner Laden mit schottischer Wolle,
warmen Decken und Kissen,
dann ertaste ich sie: Musterlaschen aus reiner Wolle!

Ju will eigentlich nur eine warme Leggings.
Die gibt’s nicht.
„Ich parke sie regelrecht. ‚Geh schon mal ins Café nebenan. Das kann hier etwas dauern ‘ sag ich.“

Dann bin ich allein mit dem Stoff.
Und dann streichele ich mich ohne Eile durch die Laschen.
Und plötzlich ist sie da – diese Wärme. Nicht vom Stoff allein.
Sondern von dem, was er erinnert.

Früher konnte ich Stoffe mit verbundenen Augen erkennen.
Haptik war mein erster Beruf. Mein Leben.
Ich war Textildesignerin – mit Haut, Hirn und Hand.
Stoff war für mich nicht Oberfläche, sondern Substanz.
Und ich merke: Das ist nicht weg. Nur vergraben.
Vergraben in einer digitalen Welt, in der Haptik keinen Platz hatte.
Kein Stoff, nur Screens.

Schottland in Wolle gegossen.

Ich frage vorsichtig: „Sie Verkaufen Meterware?“
Die Verkäuferin nickt.

Ich entscheide mich für ein klassisches Fischgratmuster –
grau, mit bunten Sprenkeln.
Kein echtes Harris Tweed,
„but who the hell cares.“

Die Dame sieht mein Strahlen,
und nimmt mich mit in den Keller.

Und ich tauche ab.

Der Geruch von reiner Wolle –
ich bin wieder in der Uni,
in der Werkstatt.
Hände im Gewebe.
Gedanken im Garn.

Dort lagern sie.
Die Rollen. Die Schätze.

Und ich darf zuschauen, wie mein Stück abgeschnitten wird.

Wir kommen ins Gespräch.
Ich frage, wo der Stoff gewebt wird.
„In Yorkshire“, sagt sie.
Die Wolle kommt von hier –
aber es gibt niemanden mehr, der hier weben kann.

Ich kam, sah – und hätte bleiben können

Brora. Das Rentner-Miami.

Ich könnte doch…
Ich liebe Weben…
Das war schon an der Uni meine Leidenschaft…

Ein Samenkorn wird gepflanzt.

Leben. Und Weben. In Schottland.

Ju meint später, das hier wäre auch der perfekte Ort für eine Physiopraxis.

Klar. Alles alte Leutchen so wie ich hier.

Ich kaufe noch ein paar Knäuel Wolle für einen Pullover,
passend zum Tweed.

Und das Beste?

Der Einkauf geht als Paket nach Hause.
Am Ende dürfen wir unsere Rucksäcke im Laden lassen.
Einfach so.
Kein Zögern, kein Zettel, kein Pfand.

„Leave them here, you’ll be back anyway.“

„Bin gleich zurück!“

Ich ziehe die Tür hinter mir zu,
setze mich im Café nebenan zu Ju,
futtere mein Standardfrühstück –
dann lassen wir unsere Rucksäcke im Kingcraig
und gehen mit leichten Füßen zur Destillerie.

Clynelish – Gold im Glas, Sonne im Gesicht

Ohne Rucksäcke fühlt sich der Weg zur Destillerie fast wie Fliegen an.
Nur mit leichter Jacke, Sonne im Gesicht und Tweed-Gefühl im Herzen marschieren wir durch Brora, als hätten wir einen Termin mit dem Luxus.

Und irgendwie haben wir den auch.

Die Clynelish Distillery liegt leicht erhöht, mit Blick auf Küste, Vergangenheit und Whiskyzukunft.
Modern, groß, aber nicht abweisend.
Wir werden freundlich empfangen – und starten mit der Führung.
Wie wichtig das Wasser ist,
wie Malz getrocknet, gemaischt, gebrannt, gelagert wird –
alles in glänzenden Kupferkesseln und Edelstahl.
Ein Ort zwischen Hightech und altem Handwerk.

Wir erfahren, dass der Whisky ein Hauptbestandteil von Johnny Walker Gold ist.
Und dass das Wasser aus dem Clynemilton Burn stammt –
ein kleiner Fluss, der aus den Hügeln kommt
und über Gesteinsschichten fließt, die feine Goldadern enthalten.
Früher wurde dort tatsächlich Gold gefunden.
Heute wohl nur noch Spuren –
aber genug, um Legenden zu nähren.

Natürlich, sagen sie, beeinflusst das nicht den Geschmack.
Aber wir nicken.
Gold ist Gold.

(Und wer genau hinsieht, erkennt vielleicht auch,
warum der Name Clynelish nicht ganz zufällig klingt.)

Hier endet die Führung – und beginnt die Verführung

Am Ende der Tour: die Verkostung.
Whisky. Und Pralinen.

Drei Sorten Clynelish, von Standard bis ganz besonders.
Dazu je 3 handgemachte Pralinen von einem lokalen Hersteller,
genau abgestimmt auf die jeweilige Whiskysorte.

Zartbitter trifft Torf.
Kakao umarmt Salz.

Ein kleines Ritual, das bei uns Spuren hinterlässt.

Seitdem ist das unsere heimliche Kombination:
Whisky und Praline –
bevorzugt die Guten, von Cocoa Mountain.
Wenn schon dekadent, dann bitte richtig.

Ein Schluck, ein Blinzeln, ein kleines sich Schütteln.
Ju sieht mich an, nickt – und ich weiß:
Sie hat ihren Whisky gefunden.

Natürlich können wir keine Flaschen mitschleppen –
aber eine kleine Flasche Clynelish – 0,5 Liter, genau richtig für kalte Abende –
darf mit.

Wir treten hinaus in die Sonne.
Links das moderne Gebäude –
rechts, eingezäunt und noch halb eingerüstet:
die alte Destillerie.

Sie wird restauriert.
Bald soll hier wieder manuell, wie früher, destilliert werden –
nicht für Masse, sondern für Charakter.
Whisky mit Seele. Oder aber: Das wird Teuer, Luxus, unbezahlbar, Gold!

Zurück laufen wir beschwingt.
Halb von der Sonne, halb vom Whisky.
Es ist 15 Uhr, als wir wieder im Ort sind.
Perfekt für ein kühles Getränk. Oder zwei.

Auf dem Rückflug nach Hause kaufen wir uns je eine Flasche der Game of Thrones Edition.
Ju natürlich: Haus Stark – ihre Flasche: Clynelish..
Und ich? Haus Baratheon – meine Flasche: Royal Lochnagar.
Ein Whisky mit Haltung.
Zumindest…
Zumindest bis der Rucksack wieder auf dem Rücken ist.

Vom Strand getragen – Brora Beach bis Lothbeg Point

Um 15 Uhr brechen wir wieder auf – spät für unsere Verhältnisse, aber der Tag hat ja schon einiges geboten.
Tweed, Whisky, Sonne. Jetzt kommt der Trail.
Oder besser: Der Sand.

Zuerst: ein Golfplatz.
Natürlich.
In Schottland ist das gesetzlich vorgeschrieben.
Fernwanderweg? Nur mit gelegentlichem Blick auf ältere Herren in karierten Hosen.

Doch kaum haben wir die gepflegten Fairways hinter uns gelassen,
beginnt der Moment, für den man diese Küste liebt.

Ebbe.
Feuchter, dunkler Sand.
So fest, dass man fast schwebt.
Kein Knirschen, kein Einsinken – nur dieser weite, breite, offene Strand.
Der Himmel über uns? Azur.
Die Luft: warm, salzig, mild.

Wir schauen nach Norden – dort ist noch Sonne.
Hinter uns, im Süden, ziehen erste Wolken auf.

Ein bisschen fühlt es sich an wie im Film Highlander.
Connor MacLeod und Juan Sánchez Villa-Lobos Ramírez
– Christopher Lambert und Sean Connery –
reiten über den Strand,
und du sitzt da,
Whisky in der Hand,
und denkst:

„Das kann nicht echt sein. Das ist doch Kino.“
Und dann:
„Doch. Genau hier. Genau jetzt.“

Diese Weite.
Diese Farben.
Diese Luft,
die nach Salz und Legende riecht.

Es kann nur einen geben.
Aber heute gibt es zwei.
Uns.
Hier.
Am Strand von Brora.
Und für einen Moment sind wir unsterblich,
machen Unsinn mit der Kamera.
Wer braucht Reichtümer, wenn er Whiskey im Blut
und Sand unter den Füßen  hat?

Schluss mit sanft – der Trail will was von uns

Am Ende des Strandes wird’s ernst.
Die Weite weicht den Steinen.
Und zwar nicht so ein bisschen – sondern so richtig.

Zwischen aufeinander getürmten Steinen und Bahndamm ist gerade noch Platz für zwei vorsichtige Füße.
Links ein rostiger Zaun, rechts die Steinwüste.
Wir klettern oben entlang – auf Bahndammhöhe,
dort, wo man instinktiv hofft, dass jetzt bitte kein Zug kommt.

Eine Hand am Draht, der andere Fuß tastet nach dem nächsten Halt.
Langsam. Schritt für Schritt.
Reden wäre überflüssig. Oder gefährlich.

Ich konzentriere mich. Ju auch.
Und irgendwann – ein halbes Stoßgebet später –
sind wir durch.

Es geht weiter – über steinigen Strand, schmale Graspfade mit steiniger Unterlage.
Manchmal so schmal, dass nur ein Fuß drauf passt.
Manchmal so feucht, dass wir kleine Bäche überqueren müssen.
Ich sorge mich um Ju – ihre Schuhe sind nicht ganz so dicht wie meine.
Aber sie meistert das alles wie immer: wortlos, fokussiert, mit einem Grinsen.

Der Moment, bevor du ihn vermisst

Dann, kurz vor Loth, kommt er wieder –
ein Sandstrand wie frisch gegossen.
Kein Abdruck, kein Hauch von Mensch.
Als hätte jemand mit dem Finger durch den Tag gewischt und neu angefangen.

In der Ferne sehen wir ihn schon:
Unser heutiges Ziel: Lothbeg Point.

Eine ins Meer hinausreichende Landzunge.

Be aware of river crossing

Dann kommt der River Loth.
Auf der Karte steht: „Be aware of river crossing.“
Wir sind gewarnt – aber nicht abgeschreckt.

Zum Glück ist keine Flut.
Das Wasser steht niedrig, der Strom wirkt freundlich.
Aber die Steine sind glitschig.
Wir balancieren von Tritt zu Tritt,
vorsichtig, konzentriert,
immer mit einem Auge auf den Abstand und dem anderen auf den Halt.

Ich bin froh um meinen Trekkingstock –
Ju findet stattdessen ein Stück Treibholz,
gerade gewachsen, perfekt in der Hand.
Ihr neuer Begleiter – fürs Gleichgewicht, für den Rest des Wegs.
Vielleicht auch für später. Wer weiß.

Flussüberquerungen wie diese?
Keine Ausnahme.
Der John o’Groats Trail hat ein Händchen dafür,
dich zwischendurch an deine Balance zu erinnern.

Lagerfeuer am Lothbeg Point – mit Butter, Whiskey und Western-Stimmung

Es ist später geworden, als geplant.
Brora war zu schön, die Gespräche zu lang, der Tweed zu weich und der Whisky zu gut.
Aber jetzt sind wir da: Lothbeg Point.

Hinter der nächsten Kurve taucht ein Campingplatz auf –
besser gesagt: eine weitläufige Weide mit ein paar Wohnwagen,
verstreut wie die Schäfchen, die hier frei herumlaufen.
Ein Waschhäuschen steht da, kein Trinkwasser, huch!
Davor ein Windrad, das quietscht wie eine alte Filmkulisse.
Der Wind macht Musik. Keine schöne – aber irgendwie passend.

Die ganze Szenerie wirkt wie eine Mischung aus
„Spiel mir das Lied vom Tod“
und „Zelten mit Stilbruch“.

Aber was wirklich zählt, entdecken wir sofort:
Feuerstellen.
Mit Steinen eingefasst, mit Treibholz gefüllt,
als hätte jemand gewusst, dass wir heute kommen.

Unser Zelt steht auf einer kleinen Anhöhe über dem Strand –
Blick aufs Meer inklusive. Jede Menge Wasser!

„Tommy, Annika, holt schon mal den Whisky.
Jetzt gibt’s Tortellini mit Beat!“

Wir machen uns die Welt
Widdewidde wie sie uns gefällt.

Kein Wasser mehr
nur endlos viel im weiten Meer
Mit Algen, Salz und Plankton-Charme –
schwimmt alles frei in unsern Darm.
Kein Wasser mehr
nur wer das Meer nicht liebt, verliert.
und jeder der uns mag
kriegt dieses Rezept gelehrt.

Hey – Ju und Bea
trallari trallahey tralla hoppsasa
Hey – Ju und Bea,
die machen, was gefällt.

Gemopste Butter,
vorm Scone versteckt im Taschenfutter.
Ein Topf, ein Deckel,
zwei Gabeln, bisschen Whiskyduft –
mehr Sterne gibt’s nicht in der Luft.
Gemopste Butter,
macht aus Tortellini Futter.
Und wer uns dafür mag,
für den ist dieses Lied gemacht.

Hey – Ju und Bea
trallari trallahey tralla hoppsasa
Hey – Ju und Bea,
die machen, was gefällt.

Angekommen in einem vergessenen Traum

Und dann?
Wird es still.
Die Tortellini sind gegessen,
der Topf leer,
die Gabeln liegen irgendwo.
Nur das Feuer spricht noch,
in Knacksen, in Flammenzungen,
und wir lauschen.

Wir sagen nichts.
Was sollte man auch sagen,
wenn da über einem
das ganze verdammte Universum hängt
und tut, als wäre es extra für uns da?

Der Himmel spannt sich auf,
Tiefschwarz.
Ein paar Sterne,
viel Dunkel.
Und irgendwo in uns
glimmt noch ein Rest von Whisky,
Butter,
und Glück.

Ju ist schon im Zelt.
Ich schreibe noch –
mein kleines schwarzes Buch liegt auf dem Schoß,
das Feuer knistert,
Gute Nacht.

🧭 Wegbeschreibung: John o’Groats Trail Etappe 7 – Von Brora bis Lothbeg Point

Wieder einmal nicht zu verfehlen, da es fast ausschließlich am Strand entlang geht. Achtung, wir haben die Tour mit Komoot bis Helmsdale, der eigentlichen Etappe aufgezeichnet. Heute waren es daher nur ca. 10 km.

Mann kann auch problemlos an einem Tag von Brora nach Helmsdale wandern, aber dann verpasst man Tweed, Whisky, und Lothbeg Point.

3 Antworten auf „John o’Groats Trail – Tag 5 – Brora bis Lothbeg Point mit Tweed, Whisky und Weitblick“

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