John o’Groats Trail – Tag 6 – Lothbeg Point to Helmsdale

Schafe und wir im Nebel – John o’Groats Trail Etappe 8

[Wanderung ca. 12,5 km, leicht] [ca. 160 Höhenmeter] [01.05.2019]

Die Nacht war klar –
und damit kalt.
Windstill, aber frostig.
So eine Kälte, die in den Schlaf schleicht,
und sich zwischen die Lagen legt.

Ju hat gefroren.
Ihr Quilt aus Synthetik hält, was er verspricht –
nur eben nicht ganz so warm wie meiner.
Daune macht den Unterschied.
Heute. Und noch mehr in den kommenden Tagen.

Der Morgen ist grau.
Kein Wind, keine Sonne.
Nur dieser feuchte Schleier über der Wiese.
Alles klingt gedämpft.
Selbst das Windrad quietscht wie aus weiter Ferne.

Wir krabbeln gemeinsam aus dem Zelt.
Der Boden ist feucht,
die Luft still.

Wer ist Ju

Und ich – bin still.
Ungewöhnlich still.
Denn normalerweise bin ich ein Morgenmensch.
Sobald ich die Augen aufmache, will ich erzählen.
Ich bin da, mit Sprache, Gedanken, Plänen.

Ju nicht.
Ju braucht Stille.
Sie redet morgens nicht gern – vielleicht gar nicht.

Lange hab ich das nicht verstanden.
Ich hab sie einfach übertönt.
Aber heute, hier in Lothbeg, bin ich leise.
Nicht, weil ich muss.
Sondern weil ich beginne zu verstehen.

Bis hierher war ich bei mir.
Ganz bei mir.
Meine Erinnerungen, meine Müdigkeit, meine Fragen.
Ich, ich, ich.

Aber heute –
da rückt sie ein bisschen näher.
Nicht durch Worte.
Nur durch Anwesenheit.
Und ich sehe sie.
Zum ersten Mal genauer.

Der Platz ist riesig –
aber leer.
Nur wir zwei,
ein Zelt,

Die Waschräume sind Eiskammern.
Es gibt Wasser, ja –
aber keine Gnade.
Nur kalte Fliesen, kalte Luft, kaltes Licht.
Kurz rein. Kurz raus.

Jetzt brauchen wir Wärme.
Etwas, das von innen kommt.
Tee.

Ju zündet den Kocher im Gras.
Die Flamme zittert kaum.
Alles ist still.
Nur ein leises Fauchen.

Bis auf ein paar Schafe,
die uns betrachten,
als wären wir ein rätselhaftes Experiment,
ohne wärmendes Fell, mit zu viel Gepäck.

Später finden wir den Trailer,
an dem wir bezahlen müssen –
und eine Frau,
die genauso plötzlich auftaucht wie der Nebel.
Wir geben unsere paar Pfund ab,
und dann gehört der Tag wieder uns.

Graue Einsamkeit zwischen Himmel und Strand

Das Wetter ist bedeckt, leichter Nebel liegt über der Welt, Himmel und Meer verschmelzen am Horizont miteinander. Es ist still, kein Windhauch weht. Insgesamt eine ruhige und beruhigende Stimmung.

Ich bin keine Freundin von Poesie.
Nicht im Alltag, nicht beim Wandern.
Aber heute – da kam sie plötzlich.
Nicht, weil etwas besonders schön war.
Sondern weil alles so … nebelneutral war.
So still. So farblos. So wattig.
Als hätte jemand die Welt in den Schongang geschaltet.
Und plötzlich standen da Wörter.
Weich. Langsam.
Fast zu poetisch für meine Verhältnisse.

Vielleicht lag es auch an Ju.
An diesem Morgen war sie näher –
ohne etwas zu sagen.
Und ich, statt wie sonst in Gedanken rumzutrampeln,
stand da
und wurde – naja,
eine leise Version von mir selbst.
Mit poetischen Nebensätzen
und einem leichten Anflug von Selbstironie.

Wir sind zurück auf dem Trail.
Ein schmaler Pfad,
der sich durch das Graue zieht.

Der Himmel ist matt,
die Luft schwerelos.
Ein feiner Nebel liegt über der Küste –
nicht undurchdringlich, aber bestimmend.
Als hätte jemand Watte über die Welt gelegt.

Selbst die Laute der Seevögel,
normalerweise grell und fordernd,
klingen heute weich,
gedämpft.

Stille

Wir sprechen kaum.
Nicht, weil es nichts zu sagen gäbe –
sondern weil dieser Morgen,
diese Landschaft im Nebel,
uns leise gemacht hat.

Unsere Stille ist kein Abstand.
Sie gehört hierher.
Ich beginne zu verstehen,
dass Stille nicht immer ein Raum ist, den ich füllen muss.
Nicht mit Worten. Nicht mit Witz. Nicht mit Funktionieren.
Manchmal ist Stille einfach nur … still.
Und genau richtig so.

Der Weg verlangt Entscheidung.
Grasnarbe, Steine, Sand –
wir wechseln ständig.
Manchmal trägt der Sand,
manchmal rutscht er weg.
Manchmal ist das Gras nass,
manchmal besser als alles andere.
Und manchmal bleibt nur Stein.

Der Blick zurück.
Der Blick voraus.
Immer im Wechsel.
Links das Meer,
rechts das Land –
unterschiedlich, und doch gleich.

So geht es voran –
bedachtsam, gemeinsam.

Der Rest?
Die Stille in mir.
Gefüllt mit Worten –
nicht mehr mit Animationen.
Und ehrlich gesagt:
Die halten erstaunlich gut im Nebel.

 

Die Brücken, die uns tragen – Danke, JOG-Crew

Auch heute überqueren wir wieder einige Flüsschen,
die sich durchs Land schlängeln und dann einfach,
fast beiläufig, ins Meer münden.

Mal springen wir von Stein zu Stein.
Mal balancieren wir über knarrende Holzlatten,
die irgendjemand dort hingelegt hat –
für Menschen wie uns.

Wer auch immer ihr seid –
ihr da draußen mit Hammer, Säge und Gummistiefeln:
Danke.

Danke für jedes Brett,
für jede Schraube,
für jede still gebaute Verbindung über matschiges Gelände.
Ohne euch wären viele Etappen doppelt so schwer –
und halb so schön.

Robben

Zuerst ist da nur Wasser. Still. Grau.
Dann etwas Bewegung. Ein Kopf. Noch einer. Augen.
Kegelrobben, vermutlich.

Oder Selkies.
Robbenwesen aus alten keltischen Mythen –
die manchmal Menschen werden,
oder manchmal einfach nur anders schauen?
Ihr Blick berührt mich weich,
schickt mich für einige Momente in eine Märchenwelt.
In eine intakte Natur, Freiheit.

Ju sieht sie auch, kurz, ruhig, wie sie eben ist.
Wir reagieren verschieden. Ich fühle das bis in die Brust.
Sie nimmt es einfach mit – ohne Last.

Dann tauchen sie ab.
Und es bleibt ein Moment, der fast perfekt wäre.

Wäre da nicht der Müll.

Dieses angeschwemmte, zerfetzte, widerliche Zeug,
das sich überall reinschleicht wie lautlose Bomben,
die einfach liegen bleiben und warten,
bis sie irgendein Lebewesen zerreißen,
nicht mit einem Knall, sondern mit einem Schnitt,
mit Hunger, mit Verheddern, mit „zu spät“.

Plastikfetzen, Netze, bunte Deckel, die mal harmlos waren
und jetzt in den Kiemen von Jungtieren stecken,
diese ewig haltbaren, hässlichen Reste einer Gesellschaft,
die zu faul ist, ihren Dreck wieder mitzunehmen,
die lieber Selfies macht und Plastikblumen auf Instagram zeigt,
während Kegelrobben, echte, lebendige Wesen,
langsam krepieren, verheddert, aufgeschnitten,
verhungert mit einem Bauch voller Verpackungsschnipsel,
weil wir es nicht hinkriegen,
weil wir es einfach nicht hinkriegen,
den Scheiß nicht einfach ins Meer zu werfen wie hirnlose Medusen mit Smartphone und Einkaufswagen,
die denken, der Ozean ist ein Altglas-Container.

Ich sehe diesen Dreck zwischen Sand, Steinen und Algen,
und ich will schreien,
ich will alles aufsammeln und es der Menschheit in die Fresse schleudern,
will ein Megaphon nehmen und direkt in die Köpfe brüllen,
bis auch der Letzte kapiert,
dass die einzigartige Schönheit dieser Erde nicht überlebt,
wenn wir sie so lange zumüllen,
während wir sie stumm zerstören.

Und was tue ich?
Ich stehe da.
Still.
Mit dem Zorn im Magen
und den Tränen irgendwo dazwischen.

Weg vom Ufer, ein Hauch von Highland Moor

Der Strand hört nicht plötzlich auf –
aber er wird unbequemer.
Die Flut kommt.
Der Sand wird schmaler.
Und was bleibt, sind Steine.
Groß, kantig, wackelig.
Niemand geht hier gern.

Also weichen wir aus auf die alternative Flut-Route,
über die Bahngleise
weniger als 1 km entfernt vom Meer,
Hinauf in eine andere Welt.

Es geht „etwas“ bergauf, zum ersten Mal, seit wir auf dem Trail sind.
Komisch, wo war der Rucksack in den letzten 2 Tagen?
Jetzt wird er wieder spürbar, der Sauerstoffbedarf erhöht sich rapide.

Ein Wegweiser zeigt in Richtung Gartaidh Mòr.
Was vor uns liegt, sieht aus wie der Rand einer anderen Galaxie.
So nah am Meer, und doch eine andere Welt.
Tiefliegende Wolken, fast wie Nebel.
Das Licht wechselt ständig – Schatten, dann wieder strahlend hell.
Nur hier, nur in den nördlichen Highlands, kommt diese Wildnis so nah an die Küste.
Küste – Glen – ein Dimensionssprung mit Rucksack.

Filmkulisse

Es zieht mich magisch hinauf, hinein in diese andere Welt. Doch Ju belehrt mich eines Besseren:  Der Weg, unser Weg  – führt über eine banale Stahlbrücke.

Das Bedauern dauert nur sehr, sehr kurz,
denn dort oben, auf der Anhöhe, mit Blick aufs Meer,
steht – versteckt hinter alten Bäumen – ein verfallenes Cottage.
Ein kleiner Hof. Ein Bild wie gemacht für Tim Burton.

Wenn ich ihm ein Foto schicke,
dreht er hier seinen nächsten Film.
Morbide. Verbeult. Verfallen. Verlassen. Verwunschen.

Und dann – Schnitt –
sitze ich mit ihm auf dem morsch-roten Sofa,
und wir besprechen die Szene,
in der ich die Treppe in den zweiten Stock hinaufgehen soll,
nur um festzustellen:
Sie führt ins Nichts.
Dort oben wartet nur Beetlejuice.

Schnitt: ich höre Ju: „Komm.“

Ich erwache nur schwer aus diesem Film.
Aber ich gehe,
denn wir sind noch nicht angekommen in Helmsdale.

Helmsdale – erster Kontakt

Die letzten Meter hinunter nach Helmsdale
fühlen sich an wie ein sanftes Ausrollen.
Der Weg wird zur Straße,
die Luft wärmer,
und plötzlich scheint alles in ein mildes Gelb getaucht:
Ginster am Hang,
Narzissen in den Vorgärten,
Farben wie gefiltert durch Nebelstimmung.

Unter uns liegt Helmsdale,
eingebettet in die Mündung des River Helmsdale,
an seiner Mündung: der Hafen.

Links und rechts tauchen Cottages auf,
klein, freundlich, als wollten sie uns mit einer Tasse Tee begrüßen.
Ein paar davon stehen direkt am Hang,
und blicken neugierig ins Tal.

Dann erreichen wir die Brücke.
Und dort – fast beiläufig – steht sie:
eine Statue. Eine Familie.
Blick in die Ferne.

Über ihr flattern die Fahnen:
Schottland. Australien. Neuseeland. USA. Kanada.

Vielleicht Clearances.
Vielleicht Abschied.
Vielleicht beides.
Aber jetzt erstmal:
Ankommen. Tee trinken

Eigentlich könnte ich noch weiterlaufen.

Tee, Wärme, Information

Wir suchen die Tourist-Information –
und finden sie im Timespan Heritage Centre.
Drinnen ist es angenehm warm.
Es gibt Tee, heiße Schokolade, Brownies
und meine heiß geliebten Scones mit Butter und Marmelade.
Die Angestellten sind freundlich,
das Willkommen ehrlich.

Wir setzen uns, ruhen kurz aus,
wärmen uns auf –
es ist kalt geworden draußen.
Und irgendwie spüren wir:
Hier bleiben wir.
Zumindest einen Tag.
Zum Aufwärmen, Nachdenken, Ausschlafen.
Und morgen: Berriedale und mit dem Bus zurück nach Helmsdale.

Nebenan ein Raum mit Ausstellungen zur Geschichte des Ortes,
vor allem zu den Clearances –
und dem Leben danach.
Wir werfen nur einen kurzen Blick hinein.
Zu müde.
Aber ich merke mir ein Wort,
das später wiederkommt: Hering.

Danach gehen wir Richtung Hostel.
Ju kauft noch Handschuhe und eine warme Leggings –
für die kommenden Tage ist Schnee angesagt.
Nicht nur deshalb schlafen wir heute nicht im Zelt,
sondern im Hostel.
Warm. Trocken. Einfach.

Helmsdale Tourist Hostel – Ein Zuhause auf Zeit

Das Helmsdale Tourist Hostel ist der Hammer.
Ein einziger, hoher Raum mit holzvertäfelten Wänden,
schwarzen Ledersofas, langem Esstisch, Bücherregal,
einer offenen Küche und einem kleinen Kaminofen.
Alles atmet Großzügigkeit und Wärme.

Wir werden herzlich von Marie empfangen
und sind sofort begeistert.
Dann sehen wir unser Zimmer –
hell, geräumig, frisch renoviert, mit eigenem Bad.
Früher war das hier wohl mal eine Schule.
Die Fenster jedenfalls erzählen davon.

Aus unserem Fenster blicken wir direkt auf einen Hügel,
der so sehr in Gelb getaucht ist,
dass man meinen könnte, der Ginster hätte ihn gemalt.
Ganz oben weht eine schottische Fahne.
Deshalb darf Ju oben schlafen –
mit Blick auf den Ginsterberg,
den ich spontan in JuBerg umtaufe.

Und ja:
Wanderer, kommst du nach Helmsdale – wohne hier.

Fish and Chips – Mit Empfehlung aus Brora – und doppelt so viel wie nötig

Und was gibt es zu essen?
Fish and Chips, natürlich.
Wir sind in einem Küstenort –
mit Hafen und Fischerei.

Im La Mirage Imbiss,
dem kleinen Ableger des berühmten Restaurants gleich nebenan,
treffen wir tatsächlich die junge Frau aus der Destillerie-Führung in Brora wieder.
Sie hat uns den Laden empfohlen –
und sie hatte recht.

Der Fisch ist frisch, die Panade knusprig,
die Portion allerdings… sagen wir:
ein Double Fish and Chips.
Zwei riesige Filets, Chips bis zum Tellerrand.

Wir nehmen die Tüten mit ins Hostel
und essen dort –
an einem der langen Holztische im Gemeinschaftsraum.
Holz, Wärme, fettige Finger, zufrieden.
Alles richtig gemacht.

Ausklang im Pub – Ein Whiskey, mein Tagebuch und ein Radfahrer

Als krönender Abschluss geht es noch in den Pub –
ein Whiskey, vielleicht zwei.
Liverpool spielt gegen Barcelona,
die Stimmung ist gemischt,
während wir nebeneinander sitzen,
Berichte sortieren und ich in mein Tagebuch schreibe.

Später, zurück im Hostel,
schreibe ich noch ein paar Zeilen weiter,
schlafe aber fast über dem Notizbuch ein.

Da ist noch ein Gespräch –
kurz, aber eindrücklich:
Der einzige weitere Gast im Hostel ist ein 80-Jähriger,
der morgen zu einer Radreise startet.
Von John o’Groats bis Lands End,
für die Rettungsflieger von Devon.

Morgen ist sein erster Tag.
Ich bin sprachlos.
Und ich denke ich bin zu alt, was für ein riesengroßer Irrtum!
Zu alt gibt es nicht!

Dann nur noch:
Zähneputzen, warmes, weiches Bett.
Das Einschlafen dauert Sekunden.

🧭 Wegbeschreibung: John o’Groats Trail Etappe 8 – von Lothbeg Point nach Helmsdale

Die Route ist – mal wieder – nicht zu verfehlen.
Sie führt fast durchgehend am Strand entlang.
Wir haben uns kurz vor Helmsdale für die Variante oberhalb durch das Glen entschieden –
und würden das jederzeit wieder so machen.

Endlich mal nicht nur Sand und Steine,
sondern Weite, Hügel, ein bisschen Höhenluft.
Der Weg ist gut ausgeschildert, kein Suchen, kein Fluchen.

Achtung:
Unsere Aufzeichnung über Komoot beginnt schon in Brora,
also nicht wundern –
heute waren es für uns nur etwa 12,5 Kilometer.
Ein halber Wandertag.
Ein ganzer Eindruckstag.

Und jetzt: Füße hoch. Wie damals.

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