John o’Groats Trail – Tag 11 – Dunbeath to Lybster
John o’Groats Trail Etappe 11: Klippen, Klang und Küstenabenteuer
[Wanderung ca. 16,5 km, mittel] [ca. 290 Höhenmeter] [06.05.2019]
Eine kalte Nacht und ein sonniger Morgen
Die Nacht war kalt – was sonst.
Aber zum Glück hatten wir es im Trailer einigermaßen warm.
Und am Morgen: Sonne.
Sie scheint auf klare, kalte Luft,
und in der Ferne liegt Schnee wie eine Zuckerhaube
auf einem fernen Berg.
Der Abschied von Rhona ist herzlich.
Wir bedanken uns nochmal für die warme Nacht –
und dann geht es endlich mal wieder los,
mit vollem Gepäck,
hinunter zum Hafen.
Es geht weiter – auf nach Lybster!
Am Horizont strahlt das weiße Schloss von Dunbeath.
Es thront unübersehbar auf der gegenüberliegenden Bucht zwischen den Klippen.
Wir werden es noch eine Weile im Blick haben –
bis Whaligoe.
Was für eine Kiste.
Die Klippenstimmung
Vom Hafen aus geht es direkt hinauf auf die Klippen.
Die Sonne begleitet uns –
und schon nach kurzer Zeit stehen wir vor einer Felsnase,
die sich mutig ins Meer streckt.
Der Pfad folgt der Küste,
die alles andere als schnurgerade ist.
Immer wieder umrunden wir Bögen,
die das Meer tief in die Felsen geschlagen hat –
Einschnitt für Einschnitt,
als würde das Wasser hier seit Jahrhunderten
seine eigene Handschrift in die Landschaft ritzen.
Der Weg zieht sich über offene Moorlandschaft.
Links unten donnert das Meer gegen die Klippen,
hartnäckig und laut.
Vielleicht hat auch ein Bach mitgeholfen –
denn tief unten, am Fuß eines Durchbruchs,
öffnet sich ein Tunnel im Gestein.
Ein Steinstrand liegt davor,
eingeklemmt zwischen Fels und Wasser –
und da unten hallt es,
als würde jemand stöhnen.
Wir gehen weiter durch kniehohes Gras.
Jetzt wissen wir, was Jay meinte:
Im Sommer wird die Vegetation hier ziemlich hoch.
Im Moment ist es noch gut zu gehen.
Aber wir ahnen:
Das wird noch sportlich.
Seevögel, soweit das Auge blickt
An den Klippen ist es laut.
Wir sehen – und hören – sie die ganze Zeit:
Möwen kreischen im Wind,
und dazwischen die Kolonien der Guillemots,
die in ihren weiß verkackten Nischen hocken
wie schimpfende Hausbesetzer.
Sie sind einfach herrlich anzusehen:
mit ihren kurzen, hektisch zuckenden Flügeln
sehen sie aus wie Mini-Pinguine
in einer schottischen WG mit Meerblick.
Die Felsen, auf denen sie hocken,
wirken zerbrechlich.
Schiefer, bröckelig,
als könnte jederzeit ein Stück nachgeben.
Aber die Vögel?
Die wissen offenbar, was sie tun.
Perfekter Ort für Seevögel.
Da kommt kein Mensch hin –
und auch kein Selkie.
Wir bleiben immer wieder stehen,
ziehen das alles in uns hinein.
Felsen.
Meer.
Vögel.
Klippen.
Es ist wie ein Tao.
Ein Rhythmus aus Wind und Weite.
Ein Gleichgewicht,
das nichts von uns verlangt,
außer: zu schauen.
Irgendwann weiß man gar nicht mehr,
an welchem Felsen man schon vorbeigelaufen ist –
oder ob der nächste Anblick
nur eine Variante der vorherigen ist.
Aber das ist egal.
Denn genau so fühlt sich es an:
richtig.
Perfekte Momente zum Staunen.
Latheronwheel – Hering, Film & ein Schriftsteller
In Latheronwheel geht es wieder hinab –
einmal mehr ein Hafen,
einmal mehr ein stiller Ort mit Vergangenheit.
Wir machen Pause auf den Sitzbänken.
Es ist ruhig.
Hier wurde früher wohl Hering gefischt und verarbeitet,
die Spuren davon sind noch da –
im Kopfsteinpflaster, in den Mauern,
in der Luft.
Heute liegt einfach Charme über allem.
Nichts Aufgesetztes.
Ein Ort, der nichts mehr beweisen muss.
Wir schauen aufs Wasser.
Auf die alte Kaimauer.
Auf ein altes Foto von 1925.
Und hinaus,
durch die Öffnung des Hafens,
wo die See beginnt.
An einer Schautafel lesen wir etwas über einen Film,
der hier 1947 gedreht wurde:
The Silver Darlings.
Nach einem Roman von Neil M. Gunn,
einem lokalen Schriftsteller
Der Name bleibt hängen, bis zum Tagebucheintrag
Keine Ahnung warum.
Vielleicht hatte ich einfach zu viel frische Luft.
Neben der Tafel steht ein gestrickter Pinguin –
oder soll es ein Puffin sein?
Jedenfalls: jemand hier hat Humor.
Und Stil.
Wie nicht anders zu erwarten,
geht es nach dem Hafen wieder hinauf –
zurück auf die Klippen.
Und wie immer mit dem unvermeidlichen Blick zurück.
Noch mehr Tao mit dem Sound des Tages
Es geht weiter.
Schafe, Zäune, Mauern, verfallene Cottages.
Alles wechselt sich ab,
alles scheint gleichzeitig da zu sein.
Küstenseitig wird uns einiges geboten:
tiefe Einschnitte,
enge Buchten,
felsige Kanten –
vom Meer in den Schiefer gefräst,
wie mit einer riesigen Hand gezeichnet.
Wir wandern immer wieder drumherum.
Rauf und runter,
über Grasbüschel und steinige Passagen.
Immer wieder ein paar Schritte landeinwärts,
um Flussmündungen zu überqueren,
nur um auf der anderen Seite wieder hinab
zur Küste zu steigen.
Später, auf der Karte,
werden zwei Begriffe plötzlich klar:
Geo und Stack.
Aber was genau was war –
das verschwimmt längst.
Irgendwann wird aus all den Eindrücken
ein einziges, großes Küstenbild.
Das Konzert der Küste
Der Rucksack ist inzwischen ein Teil von mir.
Ich merke ihn kaum noch.
Mal trotte ich vor,
mal bleibt Ju vorn,
und wir wechseln uns ab –
wie Wellen in Bewegung.
Man muss beim Gehen gut aufpassen,
wo der Fuß aufsetzt.
Zwischen Grasbüscheln, Felsen und nassem Boden
halten wir oft an,
schauen –
zurück und voraus.
Wann immer auf den Fotos das Meer links ist,
seht ihr unseren Blick zurück.
Und was für einer.
Und hören.
Das Meer gibt den Takt vor.
Ein konstantes Anschlagen,
Welle für Welle gegen die Klippen.
Keine sanfte Brandung,
sondern ein wuchtiger, tiefer Bass.
Der Untergrund der Komposition.
Dazwischen die Möwen –
hohe schrille Geigen in voller Ekstase.
Ihr Kreischen schneidet durch den Wind,
wild, dissonant, und völlig frei von Notenblättern.
Die Guillemots:
durchgeknallte Harfen,
schnell, nervös,
wie ein Orchester in Panik.
Und ganz unten,
zwischen den Geos,
das Gurgeln des zurücklaufenden Wassers.
Ein tiefes Glucksen,
wie ein Kontrabass, der seine eigenen Töne nicht findet.
Alles zusammen:
Ein Konzert der Wildnis.
Nicht für die Bühne gemacht,
sondern für jene,
die stehen bleiben und zuhören.
Rundherum blüht es:
Primeln in zartem Gelb,
Grasnelken in Rot,
Butterblumen,
Fettkraut in Blau-Lila an feuchten Stellen,
und unzählige Pflanzen,
deren Namen wir nicht kennen –
aber lieben.
Wann immer auf den Fotos das Meer links ist,
seht ihr einen Blick zurück.
Und was für einer.
Schafe, Zäune & die Papprolle
Wie immer geht es bei jeder Weide über einen Zaun.
Aber heute sind wir gut gerüstet:
Die Papprolle kommt zum Einsatz.
Fehlt ein Steig oder Übergang,
legen wir das gerollte Stück Karton über den Draht –
funktioniert wie ein kleiner Zauberstab für Wandernde.
Und dann natürlich:
die Schafe.
Auch heute laufen sie wieder vor uns her,
am äußersten Rand der Klippen,
geduckt, aber nicht panisch.
Wir gehen dicht am Zaun entlang,
halten Abstand.
Alles klappt prima.
Kein Schaf ist abgestürzt.
Sie sind wohl doch klüger,
als sie aussehen.
Forse Castle Remains: Ich steh hier nicht zum Spaß
Nach der Klangkulisse der Küste
geht es mal wieder bergab –
und natürlich gleich wieder hinauf.
Kennen wir ja inzwischen.
Aber dann –
Kamerawechsel.
Harter Schnitt.
Stille.
Wir kommen um eine der Klippen-Kurven
und bleiben stehen.
Sprachlos.
Vor uns: eine breite, versteckte Bucht.
So versteckt,
dass man fast erwartet,
gleich schleicht ein Boot hinein.
Mit Schmugglern an Bord.
Whisky, Wolle, Wunderkerzen –
wer weiß das schon.
Und weiter draußen,
auf dem Meer?
Da könnte man sich gut
einen alten Dreimaster vorstellen.
Nebelig.
Geduckt.
Bereit zum Be- oder Entladen.
Natürlich nur in der Fantasie.
Aber die hat heute gut zu tun.
Und darüber,
auf einem Felssporn wie platziert:
Forse Castle.
Ruine, klar.
Aber immer noch beeindruckend.
Wie ein mürrischer Schlossrest,
der denkt:
„Ich steh hier nicht zum Spaß.“
Wir sagen nichts.
Nicht weil wir so ergriffen wären –
sondern weil’s gerade nichts zu meckern gibt.
Ankunft in Lybster
Wir erreichen Lybster –
fit, zufrieden, ein bisschen stolz.
Seit Dunbeath haben wir die letzten Hügel hinter uns gelassen,
und der Blick schweift jetzt weit über flacheres Land.
Ein anderes Gehen, ein anderes Schauen.
Im Supermarkt schlagen wir zu:
viel Süßes, viel Unvernünftiges.
Ich sage nur: Fudge.
(Der gute Schottische. Und ein bisschen zu viel davon.)
Dann taucht James auf –
der Chef vom Whaligoe Steps House,
unserem heutigen B&B.
Er holt uns direkt ab und kutschiert uns Richtung Whaligoe.
Persönlich, freundlich, sehr effizient.
Das hatte ich im Vorfeld gebucht:
eigentlich ein Restaurant mit nur einem Zimmer –
aber was für eins.
Ein bisschen speziell,
ein bisschen charmant.
Leider ist es morgen schon belegt,
also dürfen wir am nächsten Tag
wieder mit dem Bus zurück nach Lybster.
Hoffentlich fährt er.
Man weiß ja nie.
Wir nennen es Abenteuerplanung.
Whaligoe Steps House
Was für eine Lage –
das Whaligoe Steps House steht an einem Platz,
wo andere einen Leuchtturm hingestellt hätten.
Über der Klippe,
direkt an der Kante,
mit einem Panoramafenster über die ganze Front.
Drinnen: Speisesaal.
Draußen: nur Meer.
Keine halben Sachen.
Bevor wir überhaupt ans Essen denken:
Duschen.
Und dann:
kurz aufs Bett fallen.
15 Minuten nichts tun.
Nicht denken.
Nicht reden.
Nur liegen.
Reicht.
Dann stehen wir wieder auf,
halbwegs sortiert,
und machen uns bereit fürs Abendessen.
Und das ist ein echter Knaller:
Ziegenfleisch-Burger.
Zart, würzig, genau richtig.
Was will man auch erwarten
von einem ausgezeichneten Restaurant
mit einer Köchin,
die nebenbei auch noch Kochbücher schreibt?
Burger mit Weitblick.
Abendrot.
Und das Gefühl,
am richtigen Ort gelandet zu sein.
Whaligoe Steps – Ein Treppe mit Geschichte
Natürlich sind wir nach dem Essen noch die Whaligoe Steps direkt hinter dem Haus hinuntergegangen.
Obwohl sie an der Straße ausgeschildert sind,
ist das Schild leicht zu übersehen.
Dabei entgeht dem Reisenden eines der unglaublichsten Konstruktionen an dieser Küste!
Also Augen auf ihr Route 500 Reisenden!
Die Stufen sind steil,
abgewetzt,
und nicht ohne Grund nenne ich sie „krass“.
Früher trugen sie die Fischer,
die unten ihre Boote liegen hatten und ihren ganzen Kram rauf- und runterschleppen mussten.
Und ja – auch Heringe.
Der Fisch, den ich eigentlich nicht mag,
der aber scheinbar in jeder Ecke dieser Küste auftaucht.
Ich kann’s nicht abschütteln.
Was für eine Arbeit es gewesen sein muss,
diese Treppen zu bauen –
Kein Wunder, dass die Schotten bei den Highland Games mit großen Steinen werfen!
Die Treppe ist ein wahres Monument
für den Schweiß vergangener Fischer und Steinmetze.
Neben den Stufen geht es auch um das Meer –
der Name „Whaligoe“ kommt von „Whale Geo“,
denn hier spülte das Meer früher nicht nur Strandgut,
sondern auch verendete Wale an.
Einer von ihnen war 86 Fuß lang.
Ich muss gestehen: ich wollte nicht da unten sein, als er ankam.
Auf Walkinghighlands gibt es eine Wanderung zu den Whaligoe Steps.
Oder man geht einfach den John o’Groats Trail – grins.
🧭 Wegbeschreibung: John o’Groats Trail Etappe 11 – Von Dunbeath bis Lybster
Diese Etappe ist schwer in Worte zu fassen – weil sich viele Eindrücke ständig wiederholen und gleichzeitig immer wieder ganz anders wirken. Der Weg führt meist direkt an der Steilküste entlang, oft außerhalb der Weidezäune. Wenn es Zäune gab, sind wir – so gut es ging – außen entlang gegangen. Unsere mitgebrachte Papprolle war wieder einmal Gold wert: Statt mühsam nach Übergängen zu suchen, konnten wir einfach unseren eigenen schaffen.
Die Navigation? Brauchten wir heute nicht. Wir haben komplett ohne GPS oder App gearbeitet – nur mit Karte und den Bezeichnungen der Umgebung. Und das hat sich als optimal erwiesen. Der Trail ist intuitiv begehbar, auch wenn keine Markierungen vorhanden sind.
Besonders nahe Latheronwheel und Lybster ist der Weg sehr gut ausgeschildert.
So ein toller Bericht. Wann gibt es die nächsten Etappen, kann es kaum erwarten.
Toll, ich lese jeden Tag mit Begeisterung und kann nicht Abwarten wie es weiter geht. Danke!
Oh, da musst du dich jetzt ein wenig Gedulden. Vielleicht schaffe ich die letzten Tage an den nächsten Wochenenden.
Großartig diese Papprolle ist einfach Genial!
Oh ja, die Papprolle, die haben wir in John o’Groats anständig beerdigt.