John o’Groats Trail – Tag 10 – Wandertag in Helmsdale
Heute erforschen wir die Umgebung von Helmsdale
[05.05.2019]
Gestern haben wir erfahren,
dass der Bus nach Dunbeath –
unser Ausgangspunkt für die nächste Etappe –
am Sonntag erst am Nachmittag fährt.
Also bleiben wir.
Der Sturm tobt weiter,
aber wir sind frisch, munter und erstaunlich guter Dinge.
Ein Wandertag in Helmsdale also –
denn nach dem faulen Tag gestern brauchen wir Bewegung.
Ju kann es kaum erwarten,
endlich auf ihren Ginsterberg zu steigen –
den Helmsdale Rock,
von uns längst liebevoll in „Ju-Berg“ umgetauft.
Der liegt direkt hinter dem Hostel,
ragt wie ein Versprechen über dem Ort –
und heute geht kein Weg daran vorbei,
egal wie sehr der Wind uns entgegenbläst.
Ich hingegen will ans Wasser.
Dem Helmsdale River flussaufwärts folgen,
weg von der Küste, hinein ins Land.
Zwei Ziele, ein Tag.
In der Küche wuseln wir herum,
es riecht nach Kaffee und Rucksackplänen,
da kommt Ju mit einer genialen Idee um die Ecke:
Sie nimmt die leere Rolle Frischhaltefolie,
schneidet sie längs auf –
und bastelt daraus einen improvisierten Stacheldraht-Schutz.
Impro deluxe.
Das kann ich nur allen JOG-Wandernden empfehlen:
macht das Überqueren mancher Zäune
so viel einfacher – und ohne Kratzer.
Der Ju-Berg ruft – und wir finden ihn (irgendwie)
Wir packen ein paar Kleinigkeiten in meinen auf 5×5 cm komprimierbaren Mini-Rucksack.
Dann ziehen wir los – gegen den Wind – leicht, gut gelaunt, voller Tatendrang.
Zuerst ein Stück entlang der Route 500, in Richtung Norden.
Ziel: der Ju-Berg.
Offiziell heißt er Helmsdale Rock oder Creag Bun Ullidh,
aber das ist längst Nebensache.
Heute ist er dran. Punkt.
Wir verpassen den Abzweig.
Zu spät biegen wir ab,
landen zwischen ein paar verstreuten Häusern,
blicken auf Navidale hinunter. Da wären wir auf unserer
John o’Groats Etappe nach Berriedale entlanggelaufen.
Die Aussicht ist phänomenal:
die Küstenlinie, die wir vor zwei Tagen gewandert sind,
zieht sich wie gemalt unter uns entlang.
Ein kurzer Moment des Innehaltens –
dann drehen wir um.
Ein Stück zurück,
bis wir einen inoffiziellen Trampelpfad entdecken,
der uns – etwas abenteuerlich, aber wirkungsvoll –
auf den eigentlichen Aufstieg zum Ju-Berg führt.
Navigation im Dickicht? Mein Spezialgebiet.
Kann ich.
Grins.
Helmsdale Rock – Creag Bun-Ullidh
Der Pfad schlängelt sich durch einen regelrechten Ginster-Urwald,
goldgelb, dicht, verzaubert.
Mit jedem Schritt hinein wird es leiser.
Schlagartig ist der Wind wie weggeblasen,
als hätten uns die Zweige in eine andere Welt geschoben.
Oben angekommen schlägt das Wetter zurück.
Schatten, Kälte,
der Wind ist wieder da –
und wie.
Aber die Aussicht?
Die haut uns still aus den Schuhen.
Still.
Voller Staunen.
Ich grinse ununterbrochen.
Innerlich ganz ruhig.
In Brora hatte Ju noch gefragt,
ob ich hier meine Ruhe finden werde.
Ich glaube – sie ist längst da.
Hat sich herangeschlichen,
ganz leise.
Am Helmsdale River
Wir steigen den Hügel hinab und landen am: Golfplatz.
Von dort folgen wir der schmalen Straße flussaufwärts.
Mit jedem Meter verändert sich etwas: das Klima, der Wind, die Landschaft
Hier sieht alles anders aus als an der Küste.
Sanfter.
Weicher.
Wir driften tiefer hinein in dieses stille Tal,
oder besser gesagt: dieses Glen.
Bald entdecken wir ein paar steinerne Stufen,
die hinunter ans Ufer führen.
Das Wasser plätschert dahin,
während der Wind – aus dem Tal kommend –
die Oberfläche kräuselt wie ein wildes Muster.
Wir sagen nicht viel.
Jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach
versunken in eigene Bilder,
und trotzdem verbunden.
Ein stilles Miteinander.
Im Helmsdale River soll es Lachse geben.
Wir halten Ausschau.
Starren minutenlang ins Wasser,
meditativ, fast ein bisschen manisch.
Ich bilde mir ein, etwas gesehen zu haben.
Aber wahrscheinlich war das nur Einbildung.
Oder Wunschdenken.
Oder ein besonders überzeugender Stein.
Kurz bevor wir nach Helmsdale zurückkehren,
und unseren Wandertag beenden,
begegnen wir einem älteren Herrn mit seinem kleinen Hund.
Wie so oft ergibt sich ein kurzes Gespräch –
freundlich, beiläufig,
und irgendwie genau richtig.
Abschied von Helmsdale
Statt Mittagessen gibt es eine verfrühte Teestunde im Timespan.
Wir decken uns mit frisch gebackenen Scones ein –
für uns,
und zwei für unsere liebe Marie,
von der wir uns heute verabschieden müssen.
Wir sitzen noch zwei Stunden mit ihr
in der großen Halle des Hostels.
Trinken Tee.
Schreiben ins Gästebuch.
Reden ein bisschen, schweigen ein bisschen.
Ein Foto wird gemacht.
Der Abschied fällt schwerer als gedacht.
Zum Abschied schenkt uns Marie ein Buch,
das sie und ihre Freundin über den Rob Roy Way geschrieben haben.
Ich suche es später im Internet – finde es aber nirgends.
Ein stilles Geschenk.
So wie Marie selbst.
Und vielleicht –
ein kleiner Wink,
welcher Weg als Nächstes auf uns wartet.
Dunbeath & Rhona – unser zweiter Trail Angel
Der Bus kommt fast pünktlich.
Trotzdem sind wir nervös –
nach dem, was wir mit dem Fahrplan zuletzt erlebt haben,
trauen wir dem System noch nicht ganz.
Doch alles läuft wie geschmiert:
Nach einer kurzen Fahrt lässt uns der Fahrer
mit einem freundlichen Lächeln direkt am Inver Caravan Park raus.
Ein letztes Winken – dann stehen wir wieder im Wind.
Und es ist…
arschkalt.
Aber hey – das kennen wir ja von Dunbeath.
Wir betreten das kleine Büro am Platz
und fragen nach einem Zeltplatz.
Drinnen steht Rhona M. Gwillim.
Und dann passiert es.
Kameraschnitt.
Zu mir:
„Wie bitte? Wir dürfen… nicht zelten?“
Zu Ju:
„Was hat sie gesagt? Irgendwas mit Trailer?“
Wieder zu mir:
„Entschuldigung – könnten Sie das bitte wiederholen?“
Zu Rhona, ruhig, freundlich, ganz selbstverständlich:
„Ich habe ein großes Herz für Wanderer und Radfahrer,
die ohne Auto unterwegs sind.
Wer zu Fuß kommt, bekommt bei mir immer einen Rabatt.“
Kameraschnitt – ich:
Ungläubiges Gesicht.
Ju:
Ebenfalls.
„Was hat sie gerade gesagt?!“
Totale.
Alle drei.
Ein Moment der Stille.
Dann:
Wir grinsen.
Wir bekommen – für nur 25 Pfund –
einen kleinen Trailer für die Nacht.
Gerade erst von einem Pärchen verlassen,
noch nicht richtig sauber gemacht.
Aber ganz ehrlich:
Da war nichts schmutzig.
Bettwäsche brauchen wir keine –
wir haben ja unsere Schlafsäcke.
Super!
Und meine große Sorge wegen der Kälte
und Ju’s offenem Quilt
verfliegt im Wind.
Einmal tief durchatmen.
Ankommen.
Dunbeath – mehr als Graupel und Durchfahrt
Wir haben noch nicht genug von unserem Wandertag
und machen uns – trotz Kälte – noch einmal auf den Weg.
Ein Spaziergang durch Dunbeath.
In Erinnerung war uns das Städtchen eher trist geblieben.
Aber da haben wir ihm wohl unrecht getan.
Besonders in der kleinen Straße mit den aneinandergereihten Häuschen,
dem Supermarkt,
und den blühenden Vorgärten,
zeigt sich Dunbeath von seiner besten Seite.
Still.
Ein bisschen verschlafen.
Aber charmant.
Und dann steht es plötzlich vor uns:
Ein verlassenes Hotel.
Groß.
Gammelig.
Geheimnisvoll.
Ich kann nicht anders.
So ein Ort zieht mich magisch an.
Wenn es geht,
krabble ich hinein.
Manchmal durch ein loses Fenster,
manchmal durch die halb geöffnete Hintertür.
So auch hier.
Der Geruch nach Feuchtigkeit
liegt schwer in der Luft.
Alte Teppiche in Schottenkaro,
ausgebleicht.
Tapeten mit floralen Mustern,
teilweise abgeblättert,
teilweise überraschend intakt.
Ich renoviere solche Orte in Gedanken.
Male mir aus, wie es hier einmal war.
Und plötzlich sehe ich sie:
die Gäste –
elegant gekleidet,
im Speisesaal beim Abendessen.
Stimmen, Klirren, Lachen.
Und irgendwo,
wie aus einer anderen Zeit,
spielt eine Geige.
Eine alte, schottische Ballade,
voll Wehmut und Wind.
Ein Lied, das sich an die Wände gelegt hat
und einfach geblieben ist.
All das ist weg.
Und doch ist es da.
Abendspaziergang ins Glen – und zum Broch
Das Wetter macht heute auch mit.
Es ist kalt, ja –
und der Wind pfeift immer noch kräftig durchs Tal.
Aber der Himmel ist blau,
und hin und wieder bricht die Sonne durch,
schickt ein paar goldene Strahlen hinab,
die uns Gesicht und Herz wärmen.
Wir folgen dem Weg entlang des Dunbeath Water,
ein schmaler Pfad,
eingefasst von alten Mauern –
Steinmauern, die niemand mehr aufschichtet,
aber auch niemand je vergisst.
Sie bleiben.
Wie alles hier.
Bis zur nächsten Eiszeit.
Der Fluss fließt durch ein steiniges Bett,
gefüllt mit runden, glatten Kieseln,
und großen, flachen Steinen,
auf die man sich legen könnte,
würde nicht der Wind alles Lebendige mitreißen wollen.
Vor uns spannt sich eine schmale Hängebrücke
über das Wasser –
leicht schwankend,
nicht spektakulär,
aber ein stiller Übergang in eine andere Zeit.
Dahinter, auf einer winzigen Anhöhe:
das Broch.
Eingefasst von einer alten Trockenmauer,
liegt es da wie ein Wächter über dem Tal.
Ein Kreis aus Stein,
zerfallen,
aber nicht vergessen.
Blickt es aufs Meer?
Oder in Richtung Quelle?
Oder einfach in alle Richtungen zugleich?
Zwischen den Steinen wachsen junge Bäume,
als hätte die Geschichte selbst Wurzeln geschlagen.
Wir stehen eine Weile dort.
Reden kaum.
Und auch wenn es kalt ist,
bleiben wir.
Irgendetwas an diesem Tal
fühlt sich größer an,
als wir es in diesem Moment verstehen können.
Vielleicht war es die Stille.
>Vielleicht der Blick des Broch.
>Vielleicht der Wind,
der uns mitnehmen wollte.
Warum mich auf dem Trail
ausgerechnet die Glens so magisch anziehen?
Weiß der Geier.
Aber dieses hier –
dieses Glen –
hat sich leise festgesetzt.
Auf dem Rückweg sammelt Ju noch Bärlauch.
Eine Handvoll – mehr braucht es nicht.
Frisch, würzig, grün.
Und es duftet nach Abendessen.
Es gibt übrigens eine ausführliche Beschreibung dieser Tour auf Walkinghighlands.
Dort führt der Weg noch weiter ins Tal hinein –
insgesamt 10,5 Kilometer.
Aber dafür ist es heute zu spät.
Unser Wandertag ist endgültig beendet.
Und schöner hätte er kaum sein können.
Bärlauch-Pasta & Whiskey im Trailer
Im Trailer gibt’s erst noch etwas übriggebliebene Pastetenreste.
Dann kommt sie:
unsere legendäre Sauce aus Butter,
frisch gesammeltem Bärlauch
und Boursin,
serviert über dampfenden Nudeln.
Einfach.
Und saulecker.
Draußen ist es inzwischen ruhig,
auch der Wind hat nachgelassen.
Aber es ist bitterkalt.
Selbst im Trailer kuscheln wir uns nach dem Essen
sofort in die Schlafsäcke.
Nur noch ein kleiner Whiskey zum Abschluss.
Ein letzter wärmender Schluck.
Dann wird gepennt.
Die Wegbeschreibungen in Helmsdale
Ju hat die Wegbeschreibungen für unseren Wandertag
aus einem kleinen Heftchen fotografiert.
Mehr davon – und andere Touren –
gibt’s auf der Webseite von Helmsdale.